Am 9. Juni findet in München das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 statt. Aber wenn unter dem Jubel der Zuschauer die Mannschaften von Deutschland und Costa Rica im Stadion einlaufen, wird ein Mann nicht an der Spitze der deutschen Elf traben – und dieser Mann werde ich sein. Leider. Obwohl ich mich natürlich körperlich fit zu halten suche, seit der Anwalt von Franz Be-ckenbauer mich seinerzeit in der Lobby des Stuttgarter Hotels "Marriott" anfuhr: "Ja, ja, und Sie machen wir noch zum Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft!" Auch wenn der Tonfall seiner Stimme mir merkwürdig sarkastisch erschien und er mir wenige Minuten später dann mit einer 600-Millionen-Klage der Fifa drohte, schlug ich selbstverständlich ein: "Einverstanden, abgemacht." Rein rechtlich gesehen, dürfte damit ein mündlicher Vertrag zustande gekommen sein, auch wenn ich momentan nicht allzu viel auf Einhaltung seitens des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) setzen würde.

Im Grunde genommen ist sowieso Franz Beckenbauer an allem schuld. Beziehungsweise die denkwürdige Bewerbung um die WM 2006, die er für den DFB in Zürich vor dem Exekutiv-Ausschuss der Fédération Internationale de Football Association, kurz Fifa, ablieferte, damals im Juli 2000. Auch wenn nicht nur die Zürcher Sonntagszeitung sich seit Jahren wundert, "dass der Milliardenkonzern Fifa wie ein lokaler Turnverein geführt wird", konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass das schon für eine WM ausreichen sollte, was uns der Sender Phoenix da am Vortag der Entscheidung live in die Titanic-Redaktion übertrug: Schwitzend schwadronierte "der Kaiser" auf einer Bühne über die ungeheure Qualität deutscher Straßen und Hotelzimmer, während hinter ihm Günter Netzer, Boris Becker, Claudia Schiffer und Gerhard Schröder eine halbe Stunde lang stumm lächelnd die Daumen drückten. Der Großteil der 24 Fifa-Delegierten, die am nächs-ten Tag über die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft zu entscheiden hatten, war wesentlich älter als die deutschen Autobahnen; und es sah nicht so aus, als hätten Beckenbauers Argumente sie restlos beeindruckt. So würde das nichts werden, davon waren wir fest überzeugt.

Ich beschloss zu handeln. Zumindest ein paar Bestechungsfaxe könnte ich aufsetzen, das war ja wohl das Mindeste! Immerhin umwehte doch ständig und seit langem der Hauch der Korruption die Fifa-Delegierten und besonders ihren umstrittenen Präsidenten Joseph "Sepp" Blatter, dessen Führungsstil gern mit dem des alten DDR-Politbüros verglichen wurde. Auch wenn die Staatsanwaltschaft ihm bisher nie etwas nachweisen konnte, weil Blatter selbst hoch verdächtige 25000-Dollar-Geschenke ganz nonchalant mit reiner Menschenfreundlichkeit zu erklären pflegte.

Aber was hatten wir von Titanic in einer ordentlichen Bestechungsaktion denn eigentlich groß zu bieten? Die Fifa nahm mit der Vermarktung des WM-Turniers und der Fernsehrechte alle vier Jahre derartige Mengen an Geld ein, dass es den Mitgliedern ihres Exekutivausschusses doch wahrscheinlich schon wieder zu den Ohren herauskam! Zumal wenn sie – ohne jegliche Kontrolle – noch kleinere Nebengeschäfte mit dem WM-Kartenkontingent ihres jeweiligen Verbandes machen konnten: Jack Warner etwa, der Vertreter von Trinidad & Tobago, hatte es dank seiner Fifa-Tätigkeit innerhalb weniger Jahre vom schlecht bezahlten Geschichtslehrer zum Multimillionär gebracht und macht nach Berechnungen der Berliner Zeitung mittels der 13000 WM-Tickets, die seinem Verband für die WM in Deutschland zustehen, diesmal wieder rund sechs Millionen Euro Gewinn.

Mit anderen Worten: Wenn wir bestechen wollten, würden wir mit den 350 Euro, die sich gerade in der Titanic-Kasse befanden, wohl nicht sehr weit kommen. Während ich grübelte, fiel mein Blick auf das offizielle Fifa-Foto des US-Delegierten Chuck Blazer. Auf einmal wusste ich, was man Männern bieten kann, die schon alles andere haben: Für eine Stimmabgabe zugunsten Deutschlands annoncierte ich in meinem Bestechungsfax: "a fine basket with specialities from the black forest, including some really good sausages, ham and – hold on to your seat! – a wonderful coocoo-clock". Die "verdammt guten Würste" bot ich im Fettdruck an; wenn Sie wie ich gerade das Bild des sehr, sehr gut genährten Chuck Blazer vor Augen hätten, wüssten Sie auch, wieso.

Das Ganze unterschrieb ich mit "sincerely yours: Martin Sonneborn, Secretary TDES", denn ich hatte gehört, dass in Wirtschaftskreisen gar nicht ernst genommen wird, wer unter dem eigenen Namen nicht das Wort "Secretary" nebst einer sinn- und wahllosen Buchstabenkombination führt. Dass TDES für "Titanic, das endgültige Satiremagazin" stand, wussten Mr. Blazer und seine Fifa-Kollegen nicht.

Um sicherzustellen, dass die Angebote auch ankamen, informierte ich die Dame an der Rezeption des Zürcher "Grand Hotel Dolder" per Telefon darüber, dass gleich ein paar wichtige Dokumente per Fax kämen, und bat sie, diese weiterzuleiten. Dass sie die Faxe falten, in Briefumschläge stecken und – in Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde, es war fast Mitternacht – unter den Türen der Fifa-Herren durchschieben würde, konnte ich nicht ahnen. Dadurch bekam die ganze Angelegenheit so eine leicht unseriöse Note.

Bei der Abstimmung am nächsten Tag waren wir in der Titanic-Redaktion genauso überrascht wie sämtliche Experten, dass Deutschland in der geheimen Wahl knappestmöglich den Zuschlag für die WM erhielt. Aber es dauerte nicht lange, bis Fifa-Präsident Sepp Blatter gegen jegliche demokratische Gepflogenheit offen legte, dass der Neuseeländer Charles Dempsey, der im Auftrag seines Verbandes eigentlich für Südafrika stimmen sollte, sich der Stimme enthalten – und damit das Zünglein an der Waage gespielt hatte! Dempsey, mit 78 Jahren vermutlich einer der geistig Regeren im Komitee, war noch sportlich genug, sofort in Richtung Flughafen zu sprinten und die nächste Maschine nach Hause zu nehmen. Vor den Journalisten, die ihn in Neuseeland bereits erwarteten, sprach er dann von zahlreichen nächtlichen Bestechungsversuchen und erklärte: "This final fax broke my neck!"

Heute weiß ich, dass Charles Dempsey vor der Abstimmung eine schlaflose Nacht verbrachte. Selbst Nelson Mandela und Gerhard Schröder hätten noch telefonisch Druck auf ihn ausgeübt, schreiben die Zeitungen in den Tagen nach dem Skandal. Mittlerweile scheint es fast, dass der gebürtige Schotte sich der Stimme enthielt, um sich allen Einflussnahmen zu entziehen – und dass das nächtliche Fax ihm dazu einen willkommenen Anlass bot. Dass er mit seiner Entscheidung den Weg für Deutschland frei machte, war für den greisen Dempsey offenbar ebenso überraschend wie die Tatsache, "dass Fußball für viele Menschen so wichtig ist". Zu den BBC-Reportern, die nach Dempseys Stellungnahme als Erste vor der Titanic-Redaktion in Frankfurt auftauchten, sagte ich: "Ich tat es für mein Land!" Von den Briten, die sich bekanntlich ein recht unverkrampftes Verhältnis zu ihrer Nation bewahren, wurde das fraglos akzeptiert. Auf die Frage, ob man das Bestechungsangebot wirklich habe ernst nehmen können, pflegte ich zu antworten: "Ja, wenn man sehr hungrig war."

Die Reaktionen in Deutschland fielen dagegen recht unterschiedlich aus. Vor allem als die Bild-Zeitung – empört, dass "der Kaiser", die Fifa, der Fußball in den Ruch von Korruption gerieten! – auf der Titelseite dazu aufrief, uns in der Redaktion mal die Meinung zu sagen, und als Service für ihre Leser auch gleich unsere Telefonnummer veröffentlichte. "Vaterlandsverräter! Euch Hunden droht der Tod!", meinte ein Teil der Anrufer. "Ihnen sollte man die Satirelizenz entziehen", verlangten andere. "Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!", formulierten fein Dritte oder forderten: "Man sollte Sie auswandern!" Ein Anrufer hinterfragte kritisch: "Sind das echte Deutsche bei Ihnen? Oderrr grrrroße Arschlöcher? Ich tippe auf Nummerrrro zwo!" Richtig sprachlos aber macht mich bis heute der Vorwurf: "Wegen euch Schweinen haben wir die WM nicht gekriegt!"

Nicht wirklich begeistert zeigte sich auch der DFB. "Die Grenzen der Satire sind weit überschritten", resümierte ein Sprecher. Aber selbst nachdem halbwegs seriöse Medien wie FAZ und Tagesthemen mittlerweile festgestellt haben, dass die "satirisch gemeinte Bestechungsaktion" unserem Land "die Fußball-WM, 30000 neue Arbeitsplätze und rund zwei Millionen Euro Bruttosozialproduktzuwachs" brachte, bekommt man beim DFB noch sehenswerte Wutanfälle, sobald nur der Name Titanic fällt. Allein Ex-Teamchef Rudi Völler bot uns öffentlich die Hand, als er auf einer Pressekonferenz erklärte: "Ich wollte mich noch mal bedanken, die Jungs von Titanic haben ja die WM nach Deutschland geholt."

Wenn ich auch weiterhin – und bis zur letzten Minute! – auf die versprochene Ehrenspielführerschaft hoffe, zumindest um die angedrohte 600-Millionen-Klage sind wir noch einmal knapp herumgekommen. Beckenbauers Anwalt stellte mich in der Lobby des "Marriott" letztlich vor die Alternative, ein von ihm vorbereitetes Schriftstück zu unterzeichnen. In dieser Erklärung sollte ich mich verpflichten, zeit meines Lebens nicht noch einmal durch Bestechungsfaxe auf die Vergabe von Fifa-Turnieren Einfluss zu nehmen. Ich gebe zu, es war nicht ganz einfach, beim Leisten der geforderten Unterschrift ernst zu bleiben; einen guten Witz macht man schließlich eh nicht zweimal. Aber letztendlich gelang es mir; immerhin ging es ja um sehr viel Geld.

Martin Sonneborn war Chefredakteur der "Titanic". Von ihm erschien gerade: "Ich tat es für mein Land. Wie Titanic einmal die Fußball-WM 2006 nach Deutschland holte. Protokoll einer erfolgreichen Bestechung", Bombus 2005.

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