„Ich habe Steeldrums gehört und Meeresschneckenbeignets gegessen und war Zeuge, wie eine Frau in Silberlamee einen gläsernen Aufzug von innen flächendeckend vollgekotzt hat.“ Im März 1995 unternahm David Foster Wallace im Auftrag des US-amerikanischen „Harper’s Magazine“ eine siebentägige Karibik-Kreuzfahrt an Bord des Kreuzfahrtschiffes „Zenith“. In seiner schneidend scharfen Beschreibung der Branche und des American Dream finden sich zuhauf Sätze, die seine Erfahrungen zwischen Dekadenz, Entertainment und Überforderung auf den Punkt bringen. Und sie unterhalten blendend.

Der damals 33-jährige Wallace hebt sich ab von seinen Hunderten, überwiegend älteren, gutbetuchten Mitreisenden, die mit Fotoausrüstung um den Hals und Abendgarderobe im Gepäck ihren „wohlverdienten“ Entspannungsurlaub antreten. Unter den vielen US-Bürgern aus dem gehobenen Mittelstand befinden sich auch solche, „die am Info-Counter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird“ oder „ob die Crew ebenfalls an Bord schläft“. Paare, bei denen sich „die Frauen den Männern an den Hals“ hängen und die Männer dann „einen auf Beschützer machen“ dürfen.

Wallace bewegt sich in seinen klugen Beobachtungen zwischen einem augenzwinkernden Wohlwollen, Sarkasmus und bitterer Häme. Über manches kann man sofort lachen – zum Beispiel, wenn er umständlich versucht aufzuklären, warum er seine Kabine magischerweise immer genau nach 30 Minuten Abwesenheit blitzblank gereinigt wieder vorfindet, über Running Gags wie den Cocktail „Slippery Nipple“ oder wenn er die Küchenmannschaft fragt, ob sie einen Eimer Bratfett für ihn erübrigen könnten, mit dem er Haie anlocken möchte. Andere Male überschreitet er bewusst Grenzen; so vergleicht er die nervöse Menschenmenge kurz vor dem Einschiffen mit „Ellis Island oder Auschwitz“.

Die Kreuzfahrtgesellschaft beschäftigt – auch hier gibt sich Wallace keine große Mühe um Political Correctness – „ein ganzes Bataillon an Drittwelt-Gestalten, die in ihren blauen Overalls tagein, tagaus das Schiff nach etwaigen Zeichen beginnenden Gammels absuchten“. Von ihnen wird nicht weniger erwartet als perfekter Service: Auf zwei Passagiere kommen 1,2 Crewmitglieder. Rund um die Uhr lesen sie den Gästen jeden Wunsch von den Lippen ab. Einmal trägt Wallace seinen Koffer selbst, weil er eine Creme daraus braucht; er kann nur mit Mühe verhindern, dass dafür Köpfe rollen.

Eines der Gebote des Serviceterrors: Lassen Sie sich verwöhnen. Wir wissen genau, was Sie brauchen. Nach Wallace' Interpretation: Wir wissen es besser, Sie haben keine andere Wahl. Totale Kontrolle.

Warum dieses autoritäre Tourismuskonzept so gefragt ist? Wallace kommt zu dem Schluss: Im wahren Leben gilt, dass man sich entscheiden und später damit leben muss, dass man seine Entscheidungen bereut. Nicht so auf einer Kreuzfahrt. An Bord des Luxusliners gebe man nicht nur die Verantwortung dafür ab, was man erlebt, sondern bekomme gleich auch noch die Interpretation dafür, was es ist: pures Vergnügen.

Auch die Sinnentleerung und Verzweiflung dieser sauberen Welt des Amüsierzwangs wird von Wallace thematisiert. Diese pessimistische Sicht ist analytisch, aber auch persönlich: Wallace litt unter Depressionen. Sie gelten als Ursache für seinen Suizid im Herbst 2008. Sätze wie die folgenden aus „Schrecklich amüsant“ hinterlassen daher einen bitteren Nachgeschmack: „Man möchte sterben, um der Wahrheit nicht ins Auge blicken zu müssen, der Wahrheit nämlich, dass man nichts weiter ist als klein, schwach und egoistisch – und dass man mit absoluter Sicherheit irgendwann sterben wird. In solchen Stunden möchte man am liebsten über Bord springen“.

Sabrina Gaisbauer, 26, volontiert bei der Bundeszentrale für politische Bildung