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cms-image-000045389.jpg (Foto: © Lucky Bird Pictures / Bernd Schuller)
(Foto: © Lucky Bird Pictures / Bernd Schuller)

Vor siebzig Jahren, am 9. April 1945, wurde im KZ Dachau ein Mann hingerichtet, der die Geschichte Deutschlands beinahe maßgeblich beeinflusst hätte: Georg Elser, der im November 1939 in Eigenregie versucht hatte, Adolf Hitler während einer Rede im Münchner Bürgerbräukeller mit einer Zeitbombe zu töten. Die akribisch geplante Tat scheiterte. Die Bombe ging zwar zum geplanten Zeitpunkt hoch, doch Hitler und andere NSDAP-Funktionäre hatten die Veranstaltung unerwartet früh verlassen.

Dass Elser nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit geriet, hat viel mit der Erinnerungskultur in Ost- und Westdeutschland zu tun. Die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ um die Geschwister Scholl und die Verschwörer vom 20. Juli um Graf von Stauffenberg als Intellektuelle und Studenten bzw. Militärs mit Adelshintergrund passten offenbar besser in das Bild des deutschen Widerstands.

Elser dagegen galt lange als undurchsichtige Figur, die nicht nur den Nationalsozialisten Rätsel aufgab: ein einfacher Handwerker aus dem schwäbischen Königsbronn, der keiner politischen Opposition angehörte, jedoch als kritischer Zeitgenosse früh erkannte, welche Gefahr von Adolf Hitler und den Nationalsozialisten ausging. Hitler soll gar den Leiter des Reichssicherheitshauptamts Reinhard Heydrich persönlich damit beauftragt haben, die „wahren“ Motive Elsers und die Namen seiner Hintermänner herauszufinden – notfalls unter Anwendung von Folter.

Die Zweifel an der Einzeltäterschaft Elsers hielten sich auch in der alten Bundesrepublik; nicht zuletzt deswegen blieb er bis in die 1990er-Jahre aus dem Kanon des deutschen Widerstands weitestgehend ausgeschlossen – und im populären Kino bis heute. Nach Filmen über die Geschwister Scholl („Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von Marc Rothemund) und Stauffenberg („Operation Walküre“ von Bryan Singer) hat sich nun Oliver Hirschbiegel mit „Elser – Er hätte die Welt verändert“ des Stoffs angenommen.

Hirschbiegel hatte zuvor mit „Der Untergang“ eine Form deutschen Geschichtskinos begründet, das weniger einen historischen als vielmehr einen mentalitätspsychologischen Zugang zum Komplex „Drittes Reich“ sucht. Über die Bedeutung der Bildpolitik sagt Drehbuchautor Fred Breinersdorfer in Interviews, dass das öffentliche Bild Elsers vor allem von den Haftfotos der Gestapo geprägt sei. Da ist etwas dran. Rainer Erlers Dokudrama „Der Attentäter“ (1969) ist zu unbekannt und der Spielfilm „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ von 1989 zu stark vom Ego seines Stars Klaus Maria Brandauer – in der Doppelrolle als Regisseur und Hauptdarsteller – geprägt, als dass sich Elser in der Porträtgalerie des deutschen Kinos bisher hätte verewigen können. Zukünftig wird man bei der Erwähnung von Georg Elser unweigerlich Christian Friedel vor Augen haben. So überzeugend macht Hirschbiegels Hauptdarsteller seine Sache.

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cms-image-000045392.jpg (Foto: © Lucky Bird Pictures / Bernd Schuller)
(Foto: © Lucky Bird Pictures / Bernd Schuller)

Über die Qualität des Films ist damit aber noch nicht viel gesagt. „Elser“ übernimmt vor allem die durchaus wichtige Aufgabe, die historische Persönlichkeit Georg Elser einem breiten Publikum bekannt zu machen. Regisseur Hirschbiegel geht dabei historisch gründlich vor: Er versucht, soweit das anhand von Protokollen und Interviews möglich ist, Elser aus seinem Milieu heraus zu erklären. Den teilweise brutalen Verhörszenen sind Eindrücke aus den jungen Jahren des Widerstandskämpfers gegenübergestellt: Elsers Elternhaus. Seine kommunistischen Freunde, die sich im Gasthaus von Königsbronn regelmäßig Prügeleien mit den Rechten liefern. Das langsame Erstarken nationalsozialistischen Gedankenguts in der schwäbischen Dorfgemeinschaft. Das Schweigen der Mehrheit.

In den Rückblenden nimmt „Elser“ Züge eines kritischen Heimatfilms an. Er zeigt, wie die Politik aus dem fernen Berlin Spuren in der Provinz hinterlässt und dort Ressentiments und Hass säht. Elser wird dadurch zu einer polarisierenden Figur, weil er – weit abseits der Machtzentren und aus einer weniger privilegierten Perspektive als andere Widerstandsgruppen – schon früh die richtigen Schlüsse aus den Auswüchsen des Nationalsozialismus zog. Und damit auch den Mythos widerlegt, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung von den Gräueltaten der Nationalsozialisten nichts ahnen konnte.

Hirschbiegel schreibt Elser dabei eine moralische Position zu, die einige deutsche Historiker dem „Tyrannenmörder“ Elser, der auch zivile Opfer in Kauf nahm, lange abgesprochen haben. Als ihm Kripo-Leiter Nebe (Burghart Klaußner) und Gestapo-Chef Müller (Johann von Bülow) während des Verhörs erklären, dass acht unschuldige Menschen bei seinem gescheiterten Attentat getötet wurden, befallen Elser nachträglich Zweifel an seinem Plan. Diese späte Reue des Attentäters ist das Schlüsselmoment des Films, welche es schließlich ermöglicht, Elser auch im Kino in den Kreis der Helden des deutschen Widerstands aufzunehmen.

„Elser“ folgt somit den Konventionen des deutschen Geschichtskinos, das positive Identifikationsfiguren, ohne Anflüge von Ambivalenz, vor historisch akkurater Kulisse benötigt. Das Resultat ist letztlich bieder. Ein entscheidender Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass Hirschbiegel und sein Autorenteam die Leerstellen im biografischen Wissen über Georg Elser mit den erwartbaren Bildern füllen: Elser, der Frauenheld. Elser, der Pazifist. Elser, der Zweifler. So lange, bis die Rolle des „schlechten Gewissens“ der Deutschen so perfekt an ihm sitzt wie die feschen Anzüge, die Christian Friedel im Film tragen darf.