Als meine Zwillingsschwester und ich geboren wurden, hatten meine Eltern schon ziemlich vie­le Kinder. Wir waren einfach nicht mehr ge­plant, und das hat man uns merken lassen – vor allem mein Vater. Der hat mich so heftig ge­schlagen, dass ich sogar Knochenbrüche hatte. Aus Angst vor ihm bin ich aus dem Fenster ge­sprungen, danach kam ich in Pflegefamilien und Heimen unter. Aber es kam niemand mit mir klar, weil ich hyperaktiv bin.


Ein Teufelskreis, der kaum zu durchbrechen ist

Mit 18 landete ich schließlich auf der Straße. Als ich zum ersten Mal mehrere Nächte auf dem Alexanderplatz ge­schlafen habe, dachte ich: Schön ist es hier – und sicher, weil ja überall Kameras sind. Aber dann wurde ich überfallen und mein ganzes Hab und Gut geklaut. Meine zwei Hunde haben sie auch abgestochen. Jetzt habe ich wieder eine Dogge und vor Kurzem einen fünf Wochen alten Welpen gefunden: Samy, ein Labradormischling. Der ist jetzt immer bei mir, wir schlafen zu­sammen – ich, der Welpe und meine große Dogge. Direkt unter der Brücke 7 am Hauptbahnhof.

Man kann nur versuchen, den Winter durch­zuhalten. Letztes Jahr bin ich fast erfroren und mit einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus gekommen. Fünf Leute sind schon vor meinen Augen erfroren. Der eine saß nicht mal drei Meter von mir entfernt. Ich hab ihm noch meine Decken gegeben, weil er so blass aussah, aber er hat es nicht mehr geschafft. Hätte ich meine Hunde nicht, wär’ ich auch schon unter der Erde, aber die geben eine unheimliche Wärme ab – und Liebe, das spürt man richtig.

Auf der Straße wird dir alles genommen, auch deine Würde. Du hast keine richtige Exi­stenz und dennoch Angst darum. Du musst ein Ziel haben – ­zum Beispiel ein Kind, das du wie­dersehen willst, oder eine Wohnung. Ich will für meine Tiere da sein. Menschen sind für mich auch Tiere, aber böse. Das, was die an den Tag legen, macht mir Angst. Gewalt pur ist das nachts und abends hier. Auch untereinander greift man sich auf der Straße an. Wenn einer zum Beispiel dem anderen den Platz klaut und alkoholisiert ist, dann kann es schon mal sein, dass er dich einfach niedersticht. Du bist nur ein Scheißhaufen auf der Straße. Ich hab nicht das Gefühl, dass ich den Teufelskreis durchbrechen kann.

Ich hab mein Selbst verloren, ich hab al­les verloren. Wenn ich nicht irgendwann wieder Unterstützung be­komme, in drei, vier Jahren, hoffe ich, dass Gott mich zu sich holt oder dass mich jemand auf der Straße erschießt. Angst vor dem Tod hab ich gar nicht, umso schneller, desto besser, sag ich immer. Leute, die auf der Straße leben, haben keine Angst vor dem Tod. Wenn die Welt dich nicht mehr will, dann ist das leider so.

Natascha Roshani hat den Obdachlosen, der jeden Tag auf dem Berliner Alexanderplatz vor dem Drogeriemarkt sitzt, einfach mal angesprochen. Sie sagt, dass es ein sehr angenehmes Gespräch war.