Davon geht die Welt nicht unter – Angst vor der Apokalypse am Ende des Mittelalters

Das Ende des Mittelalters war keine Zeit für schwache Nerven. So mancher fürchtete den baldigen Weltuntergang. Im Jahr 1453 hatten türkische Heere Konstantinopel erobert, das Zentrum des alten Oströmischen Reiches, Byzantinisches Reich genannt. Die Eroberung Konstantinopels, das bis dahin als uneinnehmbar galt, besiegelte das Ende des Weltreiches. Hundert Jahre zuvor hatte schon die Pest jeden dritten Bewohner Europas dahingerafft. Krankheiten galten oft als Geißel für die Sünden der Menschheit. Prediger wie der einflussreiche Italiener Girolamo Savonarola sagten deshalb schon das Ende der alten Welt voraus, praktischerweise für das Jahr 1500, das konnte man sich gut merken. Da war es nur logisch, für das eigene Ende vorzusorgen. Denn wer vielleicht schon morgen für seine Sünden büßen muss, sollte schließlich vorbereitet sein. Predigerkollegen von Savonarola wie der Leipziger Dominikanermönch Johann Tetzel verkauften Ablässe, eine Art moralischer Schuldenerlass auf Papier, gegen Geld. Wer sie erwarb, konnte sich die Zeit im Fegefeuer verkürzen. Manche von diesen Talern gingen in Tetzels eigene Tasche, viele nach Rom. Und dort wurde in den nächsten Jahrzehnten gebaut, dass sich die Fundamente bogen. Ohne die Angst vor dem Fegefeuer hätten wir heute keinen Petersdom, keine bemalte Sixtinische Kapelle. Kunstgeschichtlich muss man also sagen: Ein Hoch auf die Apokalypse!

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Das  Ende des Mittelalters war keine Zeit für schwache Nerven. So mancher  fürchtete den baldigen Weltuntergang. Im Jahr 1453 hatten türkische  Heere Konstantinopel erobert, das Zentrum des alten Oströmischen  Reiches, Byzantinisches Reich genannt. Die Er (Illustration: Daniel le Bon)

Das Ende des Mittelalters war keine Zeit für schwache Nerven. So mancher fürchtete den baldigen Weltuntergang. Im Jahr 1453 hatten türkische Heere Konstantinopel erobert, das Zentrum des alten Oströmischen Reiches, Byzantinisches Reich genannt. Die Er

(Illustration: Daniel le Bon)

Wenn der Leichnam zweimal klingelt –  die Angst, lebendig begraben zu werden

Die Angst, lebendig begraben zu werden, ist nicht nur unter Bergleuten und Skifahrern verbreitet. Vor allem in der Zeit der großen Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunderts grassierte neben der Furcht vor der Infektionskrankheit auch die Furcht davor, lebendigen Leibes beerdigt zu werden. Denn bei Cholera kam es oft zu postmortalen Bewegungen der Leiche: Zuckungen in den Waden und Schenkelmuskeln, durch die sie eine andere Haltungen einnahm,  als der Sterbende sie hatte. Wenn nun aus irgendeinem Grund eine Leiche wieder ausgegraben werden musste, deutete man die veränderten Gliederstellungen falsch und nahm an, der Mensch sei lebendig begraben worden. Der amerikanische Schriftsteller Edgar Allen Poe hatte so große Angst davor, dass er sie in der schauerlichen Kurzgeschichte mit dem Titel „Lebendig begraben“ verarbeitete. Und der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski legte zeitweilig einen Zettel mit der Aufschrift „Sollte ich in lethargischen Schlaf fallen, begrabt mich erst nach fünf Tagen!“ neben sein Bett. Für Leute wie ihn entwickelten Erfinder Sicherheitssärge, mit einer Schnur zu einem überirdischen Glöckchen. Dies sollte verhindern, dass Menschen lebendig unter die Erde kommen und dort im Sarg unbemerkt tatsächlich sterben. Auch heute gibt es gelegentlich Fälle von Scheintoten, die erst in der Leichenhalle wieder Lebenszeichen zeigen. In solchen Fällen hat aber immer der Arzt versagt, der den Totenschein ausstellt und auf eindeutige Todeszeichen achten sollte. Deshalb müssen in allen Bundesländern Deutschlands Verstorbene 48 Stunden lang liegen, bis sie beerdigt werden dürfen – Ausnahmen von diesen Bestattungsfristen sind allerdings zulässig. Doch selbst wer es lebendig bis in die Leichenhalle „geschafft“ hat: Die Zeit in der Eiseskälte muss man auch erst mal überleben.

Jan Ludwig lebt als freier Journalist in Israel. Dort gehört es zum Alltag, mit Angst umzugehen: Jeder zweite Israeli besitzt eine Gasmaske, mancher auch Spritzen mit dem Nervengas-Gegengift Atropin.