Im Grunde steht Siemens prächtig da. Der größte Technologiekonzern Deutschlands kann im Geschäftsjahr 2004 eine Steigerung des Gewinns um 114 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen. Aber es gibt auch Probleme: In seiner Telefonsparte, im Konzernjargon „Communications“ genannt, verzeichnet Siemens erhebliche Defizite. 

Unter diesen Vorzeichen findet am 27. Januar 2005 die Hauptversammlung des Konzerns statt, auf der unter anderem auch der neue Vorstandsvorsitzende vorgestellt werden soll: Klaus Kleinfeld. Der Manager, der schon seit Jahren bei Siemens tätig ist, soll als neuer Chef die kränkelnde Telefonsparte wieder fit und profitabel machen. Eine Aussicht, die den Mitarbeitern Hoffnung macht, aber zugleich Ängste weckt. In einer solchen Situation sind in einem Wirtschaftsunternehmen oft auch Arbeitsplätze gefährdet, und Kleinfeld ist für einen wenig zimperlichen Managementstil bekannt.

Journalisten des „Hamburger Abendblatts“ fällt auf, dass Siemens vor einigen Monaten ein sehr ähnliches Bild verbreitet hat. Es zeigt Kleinfeld in exakt der gleichen Körperhaltung und mit genau dem gleichen Gesichtsausdruck  – aber mit einer sehr teuren Rolex-Uhr am Handgelenk, die auf dem jüngst von Siemens veröffentlichten Bild nicht zu sehen ist. Es scheint offenkundig: Dies ist das Originalbild, von dem für die aktuellen Veröffentlichungen die Luxusuhr wegretuschiert worden ist. Für die Presse hat die Entdeckung das Zeug zum Aufreger: Schlimm genug, dass Hunderte Mitarbeiter ihren Job verlieren. Wenn sie obendrein von einem Manager entlassen werden, der sechs Millionen Euro Jahresgehalt bekommt und eine mehrere tausend Euro teure Armbanduhr trägt, dann ist das für viele unerträglich.Es kommt wie befürchtet: Schon einen Tag nach der Hauptversammlung gibt Siemens offiziell bekannt, dass der Konzern 1.350 Stellen abzubauen gedenkt, rund 600 davon in Deutschland. Ein Stellenabbau in dieser Größenordnung schlägt immer Wellen in den Medien –  insbesondere wenn gleichzeitig hohe Gewinnsteigerungen bekannt gegeben werden. Die Konzernführung bekommt eine Menge Medienaufmerksamkeit. Vor allem die Person Kleinfeld steht nun im Rampenlicht –  und damit auch das Bild, das die PR-Abteilung des Konzerns zu Kleinfelds offizieller Ernennung an die Presseagenturen herausgegeben hat.

Die Werbeagentur Publicis, die Siemens betreut, bestätigt den Verdacht: Die Uhr auf dem Foto sei auf ausdrücklichen Wunsch von Kleinfeld wegretuschiert worden. Er habe keine Zeit für ein zweites Shooting gehabt, lautet die Begründung. Siemens-Sprecher Peter Gottal jedoch widerspricht: Die Rolex-Uhr sei mitnichten wegretuschiert worden. Es habe vielmehr zwei Fotoserien gegeben – eine mit und eine ohne Uhr. Diese Behauptung lässt sich leicht überprüfen. Legt man beide Bilder übereinander, erkennt man sofort: Sie sind absolut identisch – mit Ausnahme der Uhr. In der Stellungnahme von Siemens heißt es: „Wir werden das Foto mit der Uhr nicht mehr verwenden, weil das visuell überbetont ist.“