Vor ein paar Wochen hatte ich so einen Moment, in dem ich kurz mal rundum zufrieden war. Ich saß mit einer Flasche Bier in der Hand an einen Baumstamm gelehnt am Lagerfeuer vor dem Wochenendhäuschen auf dem Land. Ich konnte kaum noch die Augen aufhalten, so erschöpft war ich. Angenehm erschöpft. Irgendwann schreckte ich hoch und bemerkte, dass mir im Sekundenschlaf die Pulle aus der Hand gerutscht war und ich das Bier über mein Hosenbein ausgegossen hatte. Und was soll ich sagen? Sogar das fand ich in Ordnung. Ich wollte mich sowieso gerade ausziehen und schlafen legen. Müde vom Tagewerk und durchaus auch ein bisschen stolz darauf.

Auf dieses Stimmungsplateau hatte ich mich von ganz unten hochgearbeitet. Unter Anleitung meines Datschen-Mitbewohners Jörg, der als Kunsttischler handwerklich ungleich begabter ist, hatte ich eine Treppe durch den Garten gebaut. Erst hatte ich widerwillig zum Spaten gegriffen, aber schon mit den ersten paar Stufen stieg auch die Lust. Stufe um Stufe, die wir im Lehmboden verankerten, wurde eine Steigerung der handwerklichen Fertigkeit sichtbar: Wir hoben die Vertiefung für die Stufe immer passender aus, glätteten den Boden von Mal zu Mal ebenmäßiger, stachen die Lehmkante schön senkrecht ab und stabilisierten sie durch ein Brett, das jeweils von zwei Metallstangen gehalten wurde. Diese trieb ich immer gekonnter mit dem Vorschlaghammer in die Erde. Dabei stieg meine Motivation im selben Verhältnis zur Qualität der Arbeit: Je genauer ich nachdachte und arbeitete, desto unproblematischer ließen sich die Stahlbetonplatten einpassen, über die wir künftig zur Badestelle gelangen würden. Sie in die Lücke reinflutschen zu sehen entwickelte sich zum Genuss. Im Gegensatz zu diesen ganzen Schreibtischjobs ist so was eben mal eine erfüllende Arbeit, dachte ich laut, man sieht unmittelbar den Erfolg, und jedem leuchtet sofort ein, wozu es gut ist. Außerdem hat man nach Feierabend nicht noch das Bedürfnis, joggen zu gehen. Vorarbeiter Jörg sagte nicht viel, lächelte nur wissend. Für ihn, der sich nach dem Studium gegen einen akademischen Beruf entschieden hatte, war das keine ganz neue Erfahrung.

"Ich schraube, also bin ich"

Bis zu diesem Tag hatte es mir ferngelegen, über einen Wechsel von der Tastatur an die Werkbank auch nur nachzudenken. Wozu hatte ich acht Jahre studiert? Aber wenn man so frisch euphorisiert vom Hobby-Bauprojekt leicht widerwillig an den Schreibtisch zurückkehrt, kann einen das Buch des Philosophen Matthew B. Crawford nicht unberührt lassen. „Ich schraube, also bin ich“ liest sich wie ein Pamphlet zur Befreiung von den Fesseln des Bürolebens. Glaubwürdig erscheint die Sache, weil der Autor es vorgelebt hat: Laut Klappentext hat Crawford eine große akademische Karriere als politischer Philosoph und Berater sausen lassen und auf Motorradmechaniker umgeschult.

Seine steile These kurz zusammengefasst: Massen von Studenten werden heute durch die Universitäten geschleust, um anschließend in den Großraumbüros von Unternehmensberatungen, Agenturen, Medienfirmen und Konzernen als Projektmanager, Trainees und Consultants Enttäuschung um Enttäuschung zu erleben: dass ihr Hochschulwissen gar nicht gefragt ist; dass unklar ist, wofür die vielen Strategiepapiere, Excel-Tabellen und Powerpoint-Präsentationen überhaupt gut sein sollen; dass ständig an irgendetwas gearbeitet wird, das später gar nicht umgesetzt wird; dass der Einzelne seinen Beitrag zum ständig beschworenen „Teamerfolg“ in Wahrheit oft nicht erkennen kann; und dass stattdessen ein ziemliches Getue um das Engagement der Mitarbeiter gemacht werde. Ob sie „sich committen“, wie es auf Manager-Deutsch heißt, sich selbst verpflichten. Sich committen, bis der Arzt kommt und Burn-out diagnostiziert.

„Erst in der Werkstatt habe ich das Denken gelernt“, schreibt Crawford. Die zahllosen Varianten eines defekten Motorradmotors fordern den Mechaniker immer aufs Neue heraus, sich tief in eine Problemstellung zu versenken. So formt sich auf Dauer ein Charakter von Demut und praktischer Klugheit aus. Und der Wissensarbeiter? Der muss den Wert seiner virtuellen Konzepte unbegrenzt herbeiinterpretieren. Er schlittert entweder in die Sinnkrise oder wird ein selbstverliebter Typ.

Entfremdete Schreibtischarbeit hier und heilbringendes Handwerk dort? Das klang nun auch wieder ein bisschen grob geschnitzt. So sah das auch mein anderer Wochenend-Mitbewohner, dem ich von der verstörenden Lektüre berichtete. Olli ist Beamter. Als Oberamtsrat im Gesundheitsministerium schlägt er sich tagaus, tagein mit Excel-Tabellen herum, einem unüberschaubaren Formel- und Zahlengewirr, mit dem der finanzielle Ausgleich zwischen den Krankenkassen errechnet wird. Oder so ähnlich. Keiner von uns hat Ollis Erklärungen, was er da tut, je so ganz verstanden. Dafür haben wir viel über den Namen des bürokratischen Monstrums gelacht, an dem er da herumdoktert: „Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich“. Davon inspiriert kursierte im Freundeskreis eine Zeit lang das Gedankenexperiment, wer von uns seiner Oma noch mit einfachen Worten erklären könne, womit er sein Geld verdient. Die wenigsten.

Endlich mal ein Job, bei dem man abends nicht noch joggen muss

Die meisten meiner Freunde arbeiten in Beratungs-, Dienstleistungs- und Agenturjobs, an irgendwelchen Abstraktionen, die man eher so zusammenfassen könnte: integrated, sustainable and holistic business and communication solutions for todays global markets. Mit dem passenden Firmenslogan: Even we don’t know what we do. Auch Olli hat darüber gelacht. Trotzdem wollte meine neue Begeisterung fürs körperliche Arbeiten nicht auf ihn überspringen. „Du musst dir anschauen, wie die Wirklichkeit im Bereich ‚Gas, Wasser, Scheiße‘ aussieht. Wochenend-Noteinsätze, verstopfte Rohre. Nach komplexen Problemlösungen klingt mir das nicht.“ Er schickte außerdem noch eine Warnung vor Akademikern hinterher, die manchmal dazu neigten, das praktische Arbeiten zu romantisieren.

Doch ich blieb am Ball. Eine Kollegin berichtete neulich von einem Bekannten, der bereits eine kleine Karriere als Drehbuchautor hinter sich hatte, als ihm sein Job fad wurde. Er wollte endlich mal konkret mit den Händen arbeiten, am liebsten als Klempner. Also erkundigte er sich beim Arbeitsamt nach einer Umschulung. Angeblich war die Sachbearbeiterin so erstaunt über dieses Ansinnen, dass sie erst mal einen psychologischen Test anordnete. Es stellte sich heraus, dass der Mann zurechnungsfähig war, aber besser zum Fahrstuhlmechatroniker geeignet als zum Installateur. Ihr Bekannter repariere nun seit ein paar Jahren Fahrstühle, erzählte die Kollegin. Aber vor Kurzem auf einer Party habe er ihr gestanden, dass es demnächst vorbei sein könnte mit seiner Handwerkerkarriere. Fahrstuhlmechatroniker sei kein ganz ungefährlicher Beruf, man müsse viel in Fahrstuhlschächten herumkriechen. Da habe seine Frau Angst um ihn. Die Kollegin hingegen hegte eher den Verdacht, dass es der Frau ums Image ging. „Mein Mann ist Drehbuchautor“ klingt eben besser.

Wie steht es nun um das echte Handwerk jenseits von Kitsch und Tratsch? Anruf bei der Handwerkskammer und ohne Umschweife die Hand-aufs-Herz-Frage: Sind die meisten handwerklichen Tätigkeiten nicht letztlich doch ein bisschen stumpfsinnig? Frau Schumann von der Pressestelle sagt: „Das Handwerk deckt ein gewaltiges Spektrum ab, von einfachen körperlichen Tätigkeiten bis hin zu anspruchsvollen technischen Berufen wie etwa im Hörgerätebau oder in der Elektrotechnik. Stupide ist Handwerk nur, wenn man auf einer bestimmten Stufe stehen bleibt, weil man sich nicht genügend engagiert.“

Ich denke: sich committen oder was? Frau Schumann sagt: „Außerdem sind die Handwerksbetriebe im Schnitt nur fünf Personen groß. Da haben Sie als Mitarbeiter beste Chancen, sich auch betriebswirtschaftlich weiterzubilden und später mal die Buchhaltung zu übernehmen.“ Ich denke: um dann doch wieder am Schreibtisch zu landen oder was? Frau Schumann sagt: „Oder Sie machen sich selbständig und können dann beides machen, an Werkbank und Schreibtisch arbeiten. Nirgendwo wird man leichter sein eigener Herr als im Handwerk. Deshalb haben wir in Berufen wie Tischler oder Geigenbauer ja so viele Exoten und Einzelgänger.“

Das wäre also das Modell Jörg, der irgendwo an der Grenze von Design, Handwerk und Kunst seine Einzelstücke baut. Am Ende hat mich aber doch Olli überzeugt. Er hatte noch die Frage aufgeworfen, warum dieser Schrauber-Philosoph Crawford denn nicht in der Werkstatt geblieben sei, sondern sich doch wieder an den Computer gesetzt hat, um sein Buch zu schreiben. Es gibt eben auch Schreibtischjobs, die tiefe Befriedigung verschaffen können. Das schöne Gefühl, wenn der Text geschrieben ist, kennt jeder Autor. Und dann erst mal joggen gehen.