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Liebe Mono …

Unser Autor wollte schon lange einen Brief an seine Katze schreiben, jetzt hat er es endlich mal getan

  • 4 Min.
Mono (Foto: Michael Brake)

Liebe Mono,

seit zehn Jahren verbringen wir fast jeden Tag miteinander. Du bist immer da, wenn ich nach Hause komme, und du schläfst fast jede Nacht in meinem Bett. Bist du die Liebe meines Lebens? Vielleicht.

Vor zehn Jahren habe ich dich aus dem Tierheim geholt, drei Monate warst du alt und noch ganz klein. Das mit dem Kindchenschema kriegst du immer noch gut hin, obwohl du aus Sicht der Katzenfutterindustrie schon seit einigen Jahren als Seniorin giltst. Gefühlt tischtennisballgroß sind deine Augen, und du schaust mich an, als könntest du für kein Unheil auf der Welt verantwortlich sein – auch nicht für das angeknabberte Brötchen auf dem Wohnzimmerboden, das vorhin noch in meinem offenen Rucksack lag.

Doch deine Augen haben viele Formen. In manchen Momenten sind sie winzige Schlitze, und du schmiegst dich an mich, während du dich neben mich auf den Stuhl schiebst. Und wenn ich dich dann noch ein wenig kraule, rollst du dich auf den Rücken und zeigst dein weißes Bauchfell – es ist noch mal weicher als der Rest von dir. Wie kann man dich nicht lieben?

Ach Mono, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Zu oft vernachlässige ich dich, weil ich noch irgendwas angeblich Wichtiges auf dem Handy schaue. Zu oft scheuche ich dich herum und behandle dich ein wenig grantig, weil ich es eilig habe und zu wenig Impulskontrolle. Zu oft habe ich nicht die Geduld für Spiele, nicht die Muße, dir minutenlang einen Faden hinzuhalten, bis du aus der Deckung springst und nach ihm schnappst wie nach einer Maus.

Kurz dachte ich, dass ein Leben ohne Katze auch ganz schön sein könnte

Wobei ich mich manchmal frage, wer hier eigentlich mit wem spielt und ob du den Faden vielleicht nur fängst, weil du glaubst, es mache mich glücklich. Wie siehst du mich eigentlich, Mono? Bin ich eine große Katze für dich? Ein Mensch? So was wie deine Eltern? Ich weiß es nicht, du sprichst ja nicht. Und dennoch kann man richtige Unterhaltungen mit dir führen. Ich sage was. Du miaust. Ich wieder. Miau. Dann ich. Brrrau, brrrau. Was hast du gesagt? Briau. Und so weiter.

Ich muss dir ein Geständnis machen. Neulich, du erinnerst dich vielleicht noch, hast du für einen Monat bei einem Freund gewohnt, weil ich in China war. Als ich zurückkam, habe ich dich erst vier Tage später abgeholt, und in der kurzen Zeit habe ich gemerkt, wie viel Freiheit du mir nimmst. Ohne dich konnte ich die Balkontür einfach auflassen, musste nicht mehr auf herumstehendes Essen achten, meine, äh, unsere Wohnung roch auch besser und war nicht voller Haare. Kurz dachte ich, dass ein Leben ohne Katze auch ganz schön sein könnte.

Es ist nun mal so: Ich kann niemals spontan ein paar Tage wegfahren, muss jeden Tag das Katzenklo säubern und aufpassen, dass die Küchentür immer geschlossen ist (du kannst ja den Kühlschrank öffnen). Auch kann ich deinetwegen kaum eine Nacht durchschlafen, um fünf Uhr morgens hast du Hunger. Andere Menschen kennen das, wenn sie Kinder im Säuglingsalter haben. Doch da ist es nach ein bis zwei Jahren vorbei. Du, liebe Mono, wirst nie erwachsen.

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Aber dich nicht in meinem Zimmer, nicht in meinem Bett schlafen lassen? Das wäre wie eine teure Flasche Wein zu kaufen und sie niemals zu trinken. Ein Rennrad, das nur an der Wand hängt. Gibt es doch nichts Schöneres, als wenn du dich, nachdem das Licht ausgeschaltet ist, in meine Kniebeuge einrollst. Und wenn ich morgens, nach dem Aufwachen, als Erstes dein pelziges Gesicht sehe. Manchmal schläfst du noch und träumst – vielleicht vom Mäusejagen? –, und deine Pfoten zucken hin und wieder.

„Von einer Katze lernen / heißt siegen lernen. / Wobei siegen ‚locker durchkommen‘ meint, / also praktisch: liegen lernen“, schrieb einst Robert Gernhardt. Und liegen, das kannst du! Auf dem Sofa. Auf der Heizung. Auf meinem Rücken. Auf dem Rucksack. Auf dem Dielenboden im Sonnenstrahl.

Mono, du beneidenswertes Tier. Du hast keine Produktivitäts-App, keine „100 Reiseziele, die du in deinem Leben noch besuchen musst“, keine fear of missing out und auch keine To-do-Liste. Und hättest du eine, stünde darauf: fressen, schlafen, noch mal kurz ins andere Zimmer laufen, schlafen, schlafen, aus dem Fenster gucken und schlafen. Aber klar: Wer sieben Leben hat, muss siebenmal so viel schlafen.

Inzwischen liegst du noch mehr herum: Du bist alt geworden. Früher hast du meine Wohnung mückenfrei gehalten und warst die gefürchtetste Fliegenjägerin von hier bis zur Balkontür. Heute schaust du nur desinteressiert hinter den Insekten her. Wenn ich neben dir liege, denke ich öfters an den Tag, an dem du nicht mehr da sein wirst. Ich habe Angst davor, schon jetzt.

Titelbild: Michael Brake

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