Vor 30 Jahren war Ko Samui der Geheimtipp für Rucksackreisende. Wer auf die Insel im Golf von Thailand gelangen wollte, musste noch von Surat Thani auf dem Festland mit einer der wenigen Fähren übersetzen, die nicht viel mehr als umgebaute Fischerboote waren. Damals gab es auf der Insel nur eine Straße. Reisende bewegten sich auf Mopeds oder Pick-up-Trucks vorwärts. An die Strände oder ins Innere der Tropeninsel führten nur Trampelpfade, viele von ihnen durch Kokosnussplantagen. Strom gab es nur zeitweise.

Die frühen Rucksacktouristen haben sich meist in kleinen Bungalows an einem der Strände einquartiert. Viele sind bei Fischern untergekommen, die Zimmer vermietet haben. Essen und Unterkünfte waren spottbillig.

Besucht man Ko Samui heute, dann wird schnell klar, wie umfassend der Tourismus Orte verändern kann. Man kann diese Veränderung nicht nur sehen, man kann sie sogar hören: Denn Dutzende Flugzeuge landen täglich auf dem Flughafen, der Ende der 80er-Jahre fertiggestellt wurde. Die Ringstraße, die um die gesamte Insel führt, verläuft nun an einem beinahe nie endenden Band aus Häusern, Geschäften, Restaurants und Hotels. Viele der schönsten Strände kann man nicht mehr betreten, wenn man nicht Gast der dort residierenden Luxusresorts ist.

Und doch war es für manche der Inselbewohner ein Segen, dass Touristen kamen, schließlich lebten viele von ihnen früher in armen Verhältnissen. Vor allem Fischer, die Land am Wasser besaßen, konnten davon profitieren. Für viele andere allerdings ist das Leben schwerer geworden – allein schon durch den Anstieg der Preise für Land und Lebensmittel in den großen Ferienorten.

Der Ansturm von Touristen auf Thailand ist gewaltig: Im vergangenen Jahr haben beinahe 27 Millionen Gäste das Land besucht, das selbst rund 67 Millionen Einwohner hat. Der Tourismus ist in Thailand mittlerweile eine der wichtigsten Einnahmequellen. Hunderttausende Menschen arbeiten in der Tourismusindustrie, die immer noch Jahr für Jahr wächst. Dabei kommen nicht nur Backpacker und Wellnesssuchende aus Europa oder den USA, seit einiger Zeit führen Touristen aus asiatischen Staaten die Liste der Besucher an.

US-Soldaten als Tourismuspioniere

Die Anfänge des Tourismus in Thailand liegen in den 60er- und 70er-Jahren. Damals intensivierte der Staat den Ausbau des Tourismus über Bangkok hinaus. Außerdem war Thailand das Aufmarschgebiet der USA für den Krieg in Vietnam. Zehntausende US-Soldaten waren am Golf von Thailand stationiert, bevor sie weiter in den Krieg zogen, andere verbrachten ihren Fronturlaub in Thailand. Im Umfeld der US-Kasernen entstanden Unterhaltungsmöglichkeiten und Erholungsgebiete. Neben den Soldaten kamen zunehmend Gäste aus Industrienationen, in denen das Einkommensniveau deutlich gestiegen war – zugleich wurden Langstreckenflüge billiger.

Eine andere Gruppe von Touristen waren die Hippies. Der legendäre „Hippie-Trail“ durch die Haschund Opiumparadiese Iran und Afghanistan war damals wegen der politischen Verwerfungen in der Region zum Erliegen gekommen. Viele Hippies, die lange in Indien und Nepal gelebt hatten, zogen weiter nach Südostasien. Gemeinsam mit den Backpackern haben sie die vielleicht bekannteste Partyreihe des Landes ins Leben gerufen: die berühmten Full-Moon-Partys auf Ko Phangan. Damals tanzten ein paar Hundert Menschen rund um die Zelte vor einem Lagerfeuer, für die Musik sorgten die Teilnehmer selbst.

25 Jahre später gibt es die Full-Moon-Partys immer noch. Doch mittlerweile drängeln sich am Strand oft mehr als 30.000 Menschen. Techno-Beats, die aus Dutzenden Bars am Strand wummern, vermischen sich zu einem Lärmteppich. Kampftrinken – oft aus Plastikeimern – gehört zum Programm. Nach jeder Party werden Dutzende Besucher mit Alkoholvergiftung in Krankenhäuser gebracht, zudem haben sich in den vergangenen Jahren Diebstähle, Vergewaltigungen und Überfälle gehäuft. Daher werden Teile des Strandes von Sicherheitsleuten bewacht. Aus dem einstigen Freiheitsgefühl ist ein organisiertes Massengelage geworden.

Mit dem Massentourismus hat nicht nur die Kriminalität in Thailand zugenommen, er hat auch eine gewaltige Sexindustrie entstehen lassen, in der geschätzt mehrere hunderttausend Menschen beiderlei Geschlechts arbeiten. In allen Touristenorten finden sich Rotlichtviertel, eigens für ausländische Touristen. Allein in Bangkok gibt es drei große Rotlichtviertel.

Schon Reisende, die Thailand im 19. Jahrhundert oder noch früher besuchten, berichteten von einer wahren Verführungsindustrie. „Der Vietnamkrieg war natürlich nicht der Anfang der Prostitution in Thailand. Er wird aber zu Recht immer wieder als Startschuss für den internationalen Sextourismus angesehen“, sagt Alexander Trupp, Geograf von der Uni Wien, der sich seit Jahren mit dem Tourismus in Thailand beschäftigt. Eine Zeitlang hat die staatliche Tourismusbehörde die Sexindustrie sogar als Attraktion für Besucher aus aller Welt indirekt beworben.

Wassermangel und Müllberge

Eine weitere Negativfolge des Massentourismus sind die Umweltprobleme. In vielen Touristenregionen türmt sich der Müll. Auf der Ferieninsel Phuket herrscht massiver Wassermangel, viele der Korallen in den Tauchrevieren sind bereits abgestorben. Mittlerweile gibt es Initiativen, um die Missstände zu beheben. So macht sich das „Community Based Tourism Institute“ an der Universität in Chiang Mai für einen verantwortungsbewussten Tourismus stark, bei dem die lokalen Gemeinschaften verstärkt in Tourismusprojekte eingebunden werden. Besucher sollenin den Dörfern mehr über die Herstellung lokaler Produkte erfahren.

Ein Beispiel für nachhaltigen Tourismus ist die ethnische Minderheit der Akha, die in den Bergregionen im Norden des Landes lebt. In vielen Touristengegenden gehören Akha-Souvenirverkäuferinnen zum Straßenbild: Sie tragen traditionelle Kleidung und verkaufen an Ständen oder aus Bauchläden Holzfrösche, Taschen, Armbänder und ähnliche Souvenirs. Akha-Verkäuferinnen hatten schon in den 70er-Jahren auf dem Nachtmarkt in Chiang Mai begonnen, ihre Souvenirs zu verkaufen. Später, als die Konkurrenz vor Ort immer größer geworden war, zogen viele Akha-Souvenirhändlerinnen weiter in die Touristengebiete in Bangkok und im Süden des Landes.

„Der internationale Tourismus kann einen Beitrag dazu leisten, die eigene Kultur aufzuwerten“, sagt Tourismusforscher Trupp. Das lasse sich in vielen Touristenregionen Asiens beobachten: Wenn selbst hergestellte Kulturprodukte als Souvenirs verkauft und von ausländischen Besuchern geschätzt würden, steigere es das Selbstwertgefühl vieler lokaler Gemeinschaften. Der Tourismus könne so zum Erhalt traditioneller Handwerkskünste beitragen.

Sascha Zastiral arbeitet seit Anfang 2010 als Korrespondent in Bangkok. Vorher lebte er zweieinhalb Jahre in Neu-Dehli.

Fotos: aus der Serie „Same Same But Different“ von Jörg Brüggemann/Ostkreuz