Seit der Entwicklung des Personal Computer in den 1970er-Jahren hat das Silicon Valley die IT-Industrie auf beispiellose Art und Weise dominiert. Die größten und erfolgreichsten Technologiefirmen unserer Zeit stammen aus diesem kleinen Landstreifen zwischen San Francisco und San José. Zuerst wurde dort der Heimcomputer erfunden und mit der passenden Software groß gemacht. Heute sind es oft Smartphones, Tablets und deren Apps, die wir im Alltag am deutlichsten wahrnehmen. Apple, Google, Facebook, Snapchat, Twitter und Uber sind nur einige der prominentesten Beispiele für die aktuellen Silicon-Valley-Größen.

Aber der offensichtliche Erfolg täuscht. Inzwischen mehren sich die Anzeichen dafür, dass seine Dominanz bald abgeschwächt werden könnte. Vielleicht sind die genannten Unternehmen die letzten großen Vertreter des Tals.

„In der Dekade von 1995 bis 2005 waren 52 Prozent aller Silicon-Valley-Gründer Einwanderer. Die Regierung möchte jetzt durchsetzen, dass mehr Amerikaner im Silicon Valley arbeiten. Deshalb bleiben nun viele Stellen unbesetzt”

US-Präsident Donald Trump ist kein Freund der IT-Branche. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm andere Industriezweige wichtiger sind. Zuletzt verschärfte seine Regierung die Visa-Richtlinien für Start-up-Unternehmer und Greencard-Inhaber. So wird es auch für das Silicon Valley immer schwerer, Arbeitskräfte aus dem Ausland einzustellen. Das ist ein starker Einschnitt, denn traditionell stammt ein großer Teil der Belegschaft von dort: In der Dekade von 1995 bis 2005 waren 52 Prozent aller Silicon-Valley-Gründer Einwanderer. Die Regierung möchte jetzt forcieren, dass mehr Amerikaner im Silicon Valley arbeiten. Als Konsequenz bleiben viele Stellen unbesetzt. Die Beschäftigung in der Gegend sinkt. 

Ein weiteres Problem ist der Wandel der öffentlichen Wahrnehmung der Silicon-Valley-Firmen: Die vermeintlich „Guten“, die New-Economy-Firmen mit ihren Bürohunden, flexibler Arbeitszeit und Stand-up-Meetings, sind immer öfter die neuen Bösen. Die Facebooks und Googles, die einst mit der hehren Idee auftraten, die Welt zu verbessern, sind die neuen Monsantos oder Nestlés geworden. Die ehemaligen Start-ups nutzen heute genauso stark den Lobbyismus, den sie früher verurteilt haben, begehen Steuerflucht und sind extrem intransparent – wie ihre einstigen „Widersacher“. Vom ideologischen Glanz der Garagenfirma ist nichts mehr übrig.

Mann mit VR Brille und Welpen

„Die vermeintlich „Guten“, die New-Economy-Firmen mit ihren Bürohunden, flexibler Arbeitszeit und Stand-up-Meetings, sind immer öfter die neuen Bösen”

 

Inzwischen ist außerdem klar: Facebook und Twitter haben im Präsidentschaftswahlkampf wissentlich russische Propaganda und Fake News weiterverbreitet. Apple nutzt jedes Steuerschlupfloch weltweit, und Uber-Gründer Travis Kalanick beschimpfte einen seiner Fahrer aufs Übelste. Twitter schaute lange tatenlos zu, wie auf der Plattform ungehindert Hass und Sexismus florierten, und ein Google-Mitarbeiter veröffentlichte sexistische Thesen, wonach Frauen in Technikberufen niemals so kompetent sein könnten wie Männer, und zeigte damit exemplarisch, wie groß die Sexismus-Probleme im Silicon Valley sind.

„Außerdem lässt sich in der westlichen Welt eine Technologiesättigung beobachten”

Fehltritte und Skandale sorgen auch dafür, dass immer mehr Regierungen versuchen, die Technologieriesen zu regulieren. Allen voran die EU, die schon Google in den vergangenen Jahren erfolgreich in seine Schranken verweisen konnte. 

In Deutschland setzte sich Bundesjustizminister Heiko Maas vor dem Hintergrund der Hatespeech-Debatten für das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein, das Facebook und Konsorten dazu zwingt, unrechtmäßige Inhalte schneller zu löschen. Es ist seit Oktober in Kraft.

Während die einen hoffen, Hassrede damit effektiv bekämpfen zu können, fürchten andere, dass die Unternehmen zu viel löschen und die Meinungsfreiheit einschränken könnten. Unabhängig von der Wirksamkeit dieser Maßnahmen wird es für diese Firmen damit immer schwieriger, ihr Geld zu verdienen, denn die Umsetzung der staatlichen Auflagen erfordert Geld und Personal. Erst im August hat Facebook bekannt gegeben, in Deutschland 500 neue Mitarbeiter einstellen zu wollen, um den Anforderungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gerecht zu werden. 

„Statt Smartphone überall ist technischer Minimalismus und Digital Detox wieder total angesagt”

Außerdem lässt sich in der westlichen Welt eine Technologiesättigung beobachten. Jeder hat inzwischen ein Smartphone in der Tasche und ein Tablet auf dem Sofa. Und auch mit neuen Apps wird es immer schwerer, Euphorie zu erzeugen. Stattdessen ist technischer Minimalismus und Digital Detox total angesagt. Ob das Silicon Valley eine neue Produktkategorie findet, die eine ähnlich rasante Verbreitung und damit ähnliche hohe Gewinne verspricht wie Smartphones, Apps und soziale Netzwerke, ist fraglich. 

Jedenfalls versucht es das krampfhaft, was wiederum zu absurden Auswüchsen führt. Das prominenteste Beispiel ist Juicero: eine 400 Dollar teure Maschine mit Internetanschluss, die Saft aus Plastikbeuteln presst – was per Hand genauso schnell und einfach funktioniert. Die Firma ist inzwischen pleite.

Auch Wearables (zum Beispiel Smart Watches und Fitnessarmbänder) sind bisher eher noch ein Nischenprodukt, Virtual Reality kommt nicht so recht aus der Gaming-Ecke heraus, und auf selbstfahrende Autos für den Massenmarkt müssen wir noch einige Jahre warten.

Picnic App

Haben wir das alles bald satt? In der westlichen Welt entwickelt sich ein Überdruss an der Bestimmung des Alltags durch Technologien

 

Die schöne Welt des Silicon Valley wird unterdes für viele Menschen in San Francisco immer mehr zum Fluch. Die soziale Ungleichheit vor der eigenen Tür bedroht nicht die Geschäftsmodelle, sondern das Zusammenleben. Die Mietpreise in der Bay Area sind seit Jahren astronomisch hoch und steigen weiter. In den letzten sechs Jahren sind die Mietpreise in San Francisco im Mittel um 25 Prozent angestiegen. Der Durchschnittspreis für eine Zweizimmerwohnung in der Stadt liegt bei knapp 3.400 Dollar. Schuld ist das Silicon Valley, das immer mehr Mitarbeiter anlockte und extrem hohe Gehälter zahlt. Das Durchschnittseinkommen liegt bei fast 10.000 Dollar im Monat. 

„Nirgendwo ist der Kontrast zwischen Arm und Reich so deutlich wie in Downtown San Francisco”

An sich eine gute Sache, aber: Durch den konstanten Zuzug von außerhalb können die Preise immer weiter steigen, und wer nicht im Technologiesektor arbeitet, hat das Nachsehen. Darunter leidet die Infrastruktur in der Gegend. Lehrer, Kindergärtner, Verwaltungsmitarbeiter und Busfahrer sind zum Beispiel betroffen. 

Langjährige Mieter werden nicht selten aus ihren Wohnungen geworfen, damit die Eigentümer die Mieten erhöhen können. Viele Menschen landen in der Obdachlosigkeit, die in der Gegend ein riesiges Problem ist. Nirgendwo sonst ist der Kontrast zwischen Arm und Reich so deutlich wie in Downtown San Francisco: Wer die Prunk-Firmenzentralen von Twitter oder Uber verlässt, wird mit obdachlosen, alkohol- und drogenabhängigen Menschen konfrontiert. Weder seitens der Unternehmen noch seitens der Politik sind umfassende Maßnahmen für ein sozial verträgliches Wohnen in Sicht. 

Silicon Valley

Wer bei Google arbeitet, darf sich über Pflanzen im Büro, Hängematten und bunte Fahrräder freuen. Aber um den katastrophalen Wohnungsmarkt, um das Leben auf engstem Raum und Obdachlosigkeit, kümmern sich weder die Unternehmen noch die Politik

 

Andere Regionen haben in der Zwischenzeit aufgeholt. Es ist nicht zu erwarten, dass es ein einziges neues Silicon Valley geben wird. Stattdessen wird sich die Tech-Szene geografisch stärker verteilen.

Das Silicon Valley wird trotzdem eine von vielen Möglichkeiten für Gründer bleiben. Aber inzwischen gibt es auch gute Alternativen. Viele Städte und Länder haben mittlerweile verstanden, wie sie Start-ups anlocken können: innerhalb der USA zum Beispiel die nördlicheren Städte an der Westküste Portland oder Seattle. Europäische Start-ups finden inzwischen auch in Berlin, Tallinn (Estland), Vilnius (Litauen), Riga (Lettland) oder Tel Aviv (Israel) hervorragende Bedingungen vor. Chinesische Firmen wie Alibaba oder Tencent (WeChat) zum Beispiel sind weltweit auf dem Vormarsch. Bis 2020 will China mit seinen Tech-Firmen an den USA vorbeiziehen – helfen soll dabei ein eigenes Valley mitten in Peking. Es wäre wünschenswert, dass der nächste globale Technologiehype von einer dieser Städte ausgeht. Dort haben die Unternehmen oft einen anderen, frischeren und manchmal realistischeren Blick auf die Dinge. Nach all den Jahren der Dominanz wäre es also schön, wenn der nächste globale Technologiehype in einer dieser Städte losgetreten wird – und nicht in Cupertino oder Menlo Park.

 

Fotos: Laura Morton