In Luc Bessons aktuell über die Leinwände rasendem Film „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ kreist eine Raumstation namens Alpha um die Erde. Sie ist eine trippige, immer weiter wachsende Weltraum-WG, in der Tausende von Völkern und Arten friedlich miteinander leben – bis eine unbekannte Macht ihre Existenz bedroht. Am Ende werden die Alpharianer (die Spoilerwarnung nur pro forma) gerade noch rechtzeitig gerettet. Entgegen allen Erwartungen aber nicht von dem Protagonisten Valerian, sondern von einer leisen Nebenfigur: Sergeant Neza, gespielt von dem chinesisch-kanadischen Schauspieler Wú Yifán, auch bekannt als Kris Wu. Kris Who? In Asien ist er ein Popstar.

Es ist keine Ausnahme mehr, dass chinesischstämmige Schauspieler in Hollywoodfilmen zentrale Rollen einnehmen. Auch China selbst, verkörpert durch chinesische Technik und Organisationen, spielt immer häufiger eine ausdrücklich positive Rolle im US-amerikanischen Kino – was lange Zeit als undenkbar galt. In „Gravity“ überlebt Sandra Bullock, weil sie Zuflucht in einer chinesischen Raumkapsel findet. In „2012“ überlebt die Menschheit, weil in China vorsorglich Archen gebaut wurden. Und in „Der Marsianer“ überlebt Matt Damon, weil die chinesische Weltraumorganisation der NASA (der es im echten Leben per Gesetz verboten ist, auch nur irgendwie mit China zusammenzuarbeiten) eine Trägerrakete von noch nie dagewesener Kraft zur Verfügung stellt. Ihre eigene lange geplante Mission blasen sie dafür ab. Um einen einzigen Menschen zu retten. Einen Amerikaner. Ohne finanzielle Gegenleistung.

Die sich häufende Heldenhaftigkeit von Chinesen

Die sich häufende Heldenhaftigkeit ist kein Zufall, sondern hat mit Chinas Importregeln für Filme zu tun: Nur 34 ausländische Filme dürfen pro Jahr gespielt werden. Welche, entscheidet das SAPPRFT, das Staatliche Amt für Presse, Publikation, Radio, Film und Fernsehen, das wiederum dem Ministerium für Öffentlichkeitsarbeit untersteht. Dessen frühere offizielle chinesische Bezeichnung: Zentrales Propagandaministerium.

Vereinfacht lässt sich sagen: Je besser China dargestellt wird, je größer die Teile des Films, die dort gedreht, und je mehr chinesische Schauspieler engagiert werden, desto höher die Chance, Zugang zu dem Milliardenpublikum zu bekommen. Genaue inhaltliche Vorgaben gibt es nicht – wie auch in anderen autoritären Ländern entscheiden die Zensoren von Fall zu Fall unterschiedlich. Mal sind sie strenger, mal generöser – und oft auch sehr widersprüchlich. Weil es teuer ist, Szenen im Nachhinein zu ändern oder gar neu zu drehen, passen sich manche Produktionsfirmen von vornherein an die Erwartungen der chinesischen Zensoren an, amerikanische Medien sprechen schon von Selbstzensur.

 

Weder vorauseilender Gehorsam noch nachträgliche Änderungen sind aber eine Garantie, einen der 34 begehrten Plätze zu bekommen. In dem Buch „World War Z“ (engl. Originaltitel), auf dem der gleichnamige Film basiert, rafft ein Zombievirus die Weltbevölkerung dahin. Das Virus bricht in China aus und verbreitet sich dann durch den illegalen Organhandel. Die Organe stammen von Exekutierten (ein Verweis auf eine bis vor kurzem in China gängige Praxis), das Militär ist in den Schwarzmarkt verstrickt. Um von der Affäre abzulenken, beginnt die Regierung einen Krieg gegen Taiwan. Und als schließlich der Bürgerkrieg ausbricht, lässt sie sich von der Armee beschützen, während der Rest des Landes im Unheil versinkt. 

Die Zensurbehörden lehnten den Film in erster Instanz ab. Die Produzenten ließen die Handlung also umschreiben und drehten noch einmal nach. Das Virus brach nun in Südkorea aus.

Die chinesische Mittelschicht

Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es so etwas wie eine breite chinesische Mittelschicht gar nicht. Während der zentralistischen Planwirtschaft des Staatspräsidenten und Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas Mao Zedong hatte ein Großteil der Bevölkerung kaum etwas, das er sich vom Mund hätte absparen können, um regelmäßig Kinotickets zu kaufen. Unter dem Motto „Der Große Sprung nach vorn“ sollte China Ende der 1950er-Jahre zu einem Industriestaat werden, plante Mao, doch stattdessen löste die Kampagne eine verheerende Hungersnot aus, bei der 30 bis 40 Millionen Menschen starben. Nach Maos Tod beschloss sein Nachfolger in der Kommunistischen Partei, Deng Xiaoping, die Wirtschaft zu liberalisieren, und entwickelte einen „Sozialismus chinesischer Prägung“. Durch die sogenannte Reform- und Öffnungspolitik begann die nationale Wirtschaft ab Ende der 1970er-Jahre zu wachsen – erst „nach den Steinen tastend den Fluss überquerend“, wie es die Volksrepublik vorsah. Ab den 1990er-Jahren dann rasant. Besonders die ebenfalls auf Xiaoping zurückgehenden Sonderwirtschaftszonen, in denen ausländische Direktinvestitionen leicht möglich sind, kurbelten das chinesische Wirtschaftswachstum an.

Durch die Zensur schaffte es der Film trotzdem nicht. Eine offizielle Erklärung dafür gab es keine, in Hollywood munkelte man aber, China sei kein großer Fan von Brad Pitt, dem Helden in „World War Z“. Nach „Sieben Jahre in Tibet“ erhielt Pitt ein jahrelang währendes Einreiseverbot.

Die sieben erfolgreichesten Filme von 2017 spielten die Hälfte des Geldes in China ein

Ausländische Produktionsfirmen können die 34er-Quote umgehen. Entweder indem sie ihren Film zu einem Bruchteil des Preises verkaufen und China nicht die üblichen 75 Prozent, sondern gleich 100 Prozent der Ticketpreise überlassen. Für viele wenig reizvoll. Oder indem sie sich mit einer chinesischen Produktionsfirma zusammentun. Der entstandene Film gilt dann nicht mehr als ausländisch. Allerdings gelten für Koproduktionen sehr strenge Richtlinien, unter anderem was Drehorte und den Cast betrifft. So muss zum Beispiel mindestens ein Drittel der Schauspieler chinesisch sein. 

Der Aufwand lohnt sich: Sieht man sich die Einnahmen der sieben an den Kinokassen erfolgreichsten Filme der ersten neun Wochen des Jahres 2017 an, dann wurde fast die Hälfte davon in China eingenommen – 983 Millionen US-Dollar. In den USA wurden mit diesen Filmen 216 Millionen US-Dollar erwirtschaftet. Und das, obwohl eine der sieben Produktionen („Fifty Shades Darker“) gar nicht mal über die chinesischen Leinwände lief. Erotik finden die Zensoren der Kommunistischen Partei nämlich nicht so gut, genauso wenig wie außerirdische Monster oder Zärtlichkeiten zwischen Männern. Aus „Alien: Covenant“ kürzte die Zensurbehörde die meisten Aliens raus. Die Fassung ist sechs Minuten und einen Kuss kürzer als das Original – jenem zwischen Michael Fassbender und seinem Doppelgänger. 

Chinas Filmmarkt boomt, weil Chinas Mittelschicht rapide wächst

Ein Grund dafür, dass China die USA als größten Filmmarkt bald überholen kann, ist die wachsende chinesische Mittelschicht. Zählten im Jahr 2000 nur vier Prozent der urbanen Bevölkerung zur Mittelschicht, waren es 2012 bereits 68 Prozent. 2022 sollen es laut der Unternehmensberatung McKinsey & Company mehr als 75 Prozent sein. Zu dieser middle class gehört demzufolge, wer ein jährliches verfügbares Haushaltseinkommen von 9.000 bis 34.000 US-Dollar hat. Andere Organisationen rechnen strenger und kommen auf einen niedrigeren Anteil. Einigkeit besteht darüber: Schon bald wird der größte Teil der globalen Mittelschicht chinesisch sein. 

Sechzehn Mitglieder des US-amerikanischen Kongresses – sowohl demokratische als auch republikanische – äußerten im September vergangenen Jahres ihre „wachsende Sorge über Chinas Bestrebungen, Themen zu zensieren und die Propaganda in amerikanischen Medien auszuweiten“. In dem an den Rechnungshof adressierten Brief riefen sie unter anderem dazu auf, chinesische Investitionen in Hollywood strenger zu überprüfen.

Wird der Einfluss auf die US-amerikanische und andere Traumfabriken weiter wachsen? Werden bald hauptsächlich chinesische Produkte in Filmen platziert? Und ist es schlecht, wenn Chinesen die Welt retten und nicht die Amis? Manche meinen, dass China dafür sorgt, dass die einseitig prowestlichen Inhalte aufgebrochen und vielfältiger werden, wie der Politikwissenschaftler Caleb Maupin es in den Raum stellt. Es wird noch eine Weile dauern, bis man diese Fragen beantworten kann. In der Zwischenzeit lassen sich die Entwicklungen aber ganz gut beobachten – im Kino.

Titelbild: dpa/picture-alliance