Meine Oma ist 77 und hat ein „Wischhandy“. So nennt sie ihr Smart phone, weil irgendeine Freundin aus ihrer Laufgruppe das auch sagt. Meine Mutter hatte keine Lust mehr, ihr ständig alles zeigen zu müssen, was wir ihr so über WhatsApp schicken. Also gab’s das Wischhandy zu Weihnachten. WhatsApp bedienen war dann auch das Erste, was Oma konnte. Ich dachte, es wäre auch das Letzte – und das ist nicht makaber gemeint.

Ich ging einfach davon aus, dass sich meine Oma damit zufriedengeben würde, zu wissen, was bei mir, meinem Bruder und meinen Cousinen und Cousins so los ist. Ab und zu ein Foto aus unseren Urlauben, von der neuen Wohnung oder unseren Abendessen angucken – Oma glücklich. Dass sie mal selbst in unsere Gruppe schreiben würde, hätte ich nie vermutet. Schon gar nicht hätte ich ihr zugetraut, dass sie sich jeden Abend eine Stunde mit dem Handy hinsetzen und, wie sie sagte, „üben“ würde. Jeden Abend. Eine Stunde. Wenn der Opa im Bett ist. Der mag das „Käschdle“ nämlich nicht.

Bald konnte meine Oma googeln. Sie macht das lieber per Sprachbefehl, als zu tippen, wegen der kleinen „Tasten“. Zuerst schrie sie die Namen ihrer Enkel aufs Display. Sie wurde ein richtig guter Stalker, sie las zum Beispiel jeden meiner Artikel, fand jedes Foto meines Bruders. Als es nichts mehr über uns zu finden gab, brauchte sie neue Inhalte für die abendliche Übungssession. Und was machen Omas, zumindest meine Bilderbuchoma, am liebsten? Richtig: kochen. Eine kurze und unvollständige Liste meiner Lieblingsgerichte von Oma: Wurstgulasch, Käseschnitzel, Käsespätzle, Putenbraten mit Semmelknödeln.

Als ich vor Kurzem zu Besuch nach Hause kam, gab es bei Oma was Neues: Spaghetti mit Gemüseragout. „Lecker. Wo hast du denn das Rezept her?“, fragte ich. „Hab ich gegoogelt“, sagte sie. Hätte die Konversation auf WhatsApp stattgefunden, hätte ich das Emoji geschickt, das mit geschlossenen Augen verzweifelt den Mund aufreißt.

Ich weiß schon, wie autoritär das klingt, aber ich will nicht, dass meine Oma neue Rezepte googelt. Ich wünsche mir, dass sie das Wurstgulasch für mich macht wie seit zwei Jahrzehnten und keine Rezepte von Chefkoch.de nachkocht. Da habe ich nämlich die „Spaghetti mit Gemüseragout“ gefunden. Es kommt noch so weit, dass ich mich ernsthaft um das kulinarische Erbe der Familie sorgen muss, weil Oma die alten Rezepte vergisst, während sie neue googelt.

Letztens wollte ich meinen Lieblingskuchen backen und habe meine Oma per WhatsApp nach dem Rezept gefragt. Es hat nur eine Stunde gedauert, dann kam ein Foto zurück. Das handschriftlich geschriebene Rezept aus ihrem Büchlein. Ganz oben, schnörkelig unterstrichen, stand: „Russischer Zupfkuchen“. So geht’s natürlich auch.