Schulterhoch steht der Tabak auf dem Feld. Blatt für Blatt rupft Erisa Chisenga in den kommenden Tagen ab, bis nur noch kahle Stängel auf dem Acker stehen. Ob sich die Mühe gelohnt hat, wird sich erst entscheiden, wenn die Ernte in der Auktionshalle zum Verkauf ausliegt. Bis dahin hofft Chisenga auf günstiges Wetter und gute Preise für seine Ernte. Jeden Tag streift er durch sein Feld von 100 mal 100 Metern. Sein Hektar Hoffnung. Der Tabak sollte eine bessere Zukunft für seine Frau und die fünf Kinder bringen. Deshalb ist Erisa Chisenga vor fünf Jahren in den Tabakanbau eingestiegen.

Was für die einen Genuss- und Suchtmittel, ist für fast 400.000 Tabakbauern in Malawi harte Arbeit. Das kleine südostafrikanische Land, das etwa ein Drittel so groß ist wie Deutschland, gehört zu den weltweit wichtigsten Anbauländern. Im Export von Burley-Tabak, einer Tabaksorte, die fast jeder Zigarette beigemischt wird, ist Malawi sogar Weltmarktführer. 2014 haben Zigarettenunternehmen mit Sitz in Deutschland – dem größten Zigarettenexporteur der Welt – aus Malawi Tabak im Wert von rund 93 Millionen Euro eingeführt.

Malawi hängt an der Zigarette

Die nikotinhaltigen Blätter sind das Haupterzeugnis eines Landes, das ansonsten auf Importe angewiesen ist. Malawi ist bitterarm. Die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als einem Dollar am Tag. Um die Bevölkerung zu ernähren, benötigt die Regierung Devisen, von denen rund zwei Drittel durch den Tabakexport erwirtschaftet werden. Anders ausgedrückt: Malawi ist abhängig vom Tabak.

Diese Abhängigkeit rächte sich 2011, als die Tabakpreise einbrachen. Die Regierung konnte sich keine Ölimporte mehr leisten. Tagelang fuhr kaum ein Auto, die Preise für andere Güter des täglichen Bedarfs explodierten. Demons-
tranten lieferten sich blutige Straßenschlachten mit der Polizei, mindestens 19 Menschen starben. Der Tabak, von vielen Ökonomen als „cash crop“ gefeiert, als gewinnträchtiger Exportschlager, erwies sich als eine Ware, die mindestens eine Teilschuld an der Staatskrise trug.

Rauchen wird zunehmend uncool. Immer mehr Menschen verzichten aus Rücksicht auf ihre Gesundheit da-rauf, hohe Steuern erschweren den Zigarettenfirmen das Leben. Was, wenn die Nachfrage weiter sinkt? Auf der Suche nach Antworten reisen wir durch ein kleines Land, das mitten in einem großen Dilemma steckt: Wie raus aus der Abhängigkeit vom Tabak, der bislang die wichtigste Einnahmequelle ist?

Erisa Chisenga sitzt auf einer Bambusmatte im Schatten seiner Ernte. Unter einem Dach aus Plastikfolie, gedeckt mit Stroh, trocknet der Tabak. Tausende Blätter hängen wie eine Kolonie schlaffer, ledriger Fledermäuse in Reihen. Mit einer Stricknadel spießt er die frischen Blätter auf, zieht Schilfhalme durch die Löcher und verknotet sie zu Bündeln, die er zum Trocknen aufhängt. So geht das stundenlang. Machokero, der Name des Dorfes, bedeutet in der Landessprache Chichewa: der Grund, weshalb du gingst. Jungs hüten Ziegen, Mädchen helfen im Haushalt, statt in die Schule zu gehen. Erisa Chisenga wollte zumindest seine Kinder auf eine bessere Schule schicken. 

Chisenga steht bei Alliance One International unter Vertrag, einem der größten Rohtabakhändler der Welt. Hauptabnehmer sind Philip Morris (mit Zigarettenmarken wie Marlboro und L&M) und British American Tobacco (unter anderem Lucky Strike). Das vermeintlich schnell verdiente Geld ist einer der größten Anreize, die viele Menschen zum Tabakanbau verlocken. Die armen Bauern benötigen kaum Geld zum Start: Alliance One gibt ihnen Saatgut und Pestizide auf Kredit.

Problematisch wird es, wenn die Bauern die Kredite zurückzahlen müssen. Die werden nämlich fällig, wenn der Tabak exportiert wird. Dann fließen vergleichsweise viele Devisen ins Land, und der Malawi-Kwacha verliert an Wert gegenüber dem US-Dollar. Für die Bauern bedeutet das: Sie müssen mehr Kwacha zurückzahlen, als sie sich ursprünglich geliehen haben. So geht ihnen viel vom erhofften Gewinn verloren. Die Tabakunternehmen hingegen profitieren.

Chisenga muss aufpassen. Findet der Tabakhändler zwischen den Blättern auch nur einen einzigen Plastikfetzen, kann er die gesamte Ernte zurückweisen. Dann bleibt der Bauer auf einem Haufen Tabak und einem noch größeren Haufen Schulden sitzen. Würde er Mais anbauen und diesen nicht loswerden,  könnte er ihn immer noch selbst essen.

Seinen eigenen Tabak hingegen raucht Chisenga nicht. Rauchen ist ungesund, sagt er. Doch er ahnt, dass selbst die Arbeit mit dem Tabak seine Gesundheit schädigt. Vom Nervengift Nikotin hat der Tabakbauer noch nie gehört. Er weiß nur, dass seine Haut nach einem langen Tag auf dem Feld juckt und dass er manchmal mit starken Kopfschmerzen nach Hause zurückkehrt. Andere Bauern leiden unter Herzrasen, Erbrechen und Durchfall. Ärzte sprechen von der „Grünen Tabakkrankheit“. Tabakbauern ohne Schutzkleidung können an einem Erntetag in etwa so viel Nikotin über die Haut aufnehmen, wie in 50 Zigaretten enthalten ist, so eine Studie der University of Kentucky. Besonders gefährdet sind Kinder. Malawi gilt als das Land mit der höchsten Rate an Kinderarbeit in ganz Afrika. Die Kinderschutzorganisation Plan International schätzt, dass auf Malawis Tabakfeldern 78.000 Kinder schuften. Sie müssen ihren Eltern helfen, weil die sich erwachs-ene Erntehelfer nicht leisten können.

Traditionell eröffnet der Präsident von Malawi die jährliche Tabakauktion. Das ist in etwa so, wie wenn der Oberbürgermeister auf dem Oktoberfest das erste Bierfass ansticht. Wenn die Auktionshallen ihre Tore öffnen, stauen sich die Laster mit dem Tabak kilometerlang durch Malawis Hauptstadt Lilongwe.

Tabak sei in Malawi eine „political crop“, sagt Finanzminister Goodall Gondwe, eine Pflanze als Politikum. Der Trubel zur Erntezeit dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Malawi raus aus der Abhängigkeit vom Tabak müsse, betont Gondwe: „Der Tabak ist dem Untergang geweiht.“ Malawi müsse seine Wirtschaft diversifizieren, also auch andere Produkte verkaufen. Soja zum Beispiel ist auf dem Weltmarkt gefragt. Gondwe träumt vom Absatzmarkt Indien. Das hungergeplagte Malawi als Kornkammer für die Boomwirtschaft Indien?

Andere halten am Tabak fest. Etwa die New Alliance for Food Security and Nutrition (NAFSN), zu Deutsch: Neue Allianz für Ernährungssicherheit und Ernährung. Die Initiative wurde 2012 von der G8, der Gruppe der wichtigsten Industrienationen, ins Leben gerufen. Auch die deutsche Bundesregierung beteiligt sich mit 500 Millionen Euro. Das Ziel: binnen zehn Jahren in zehn afrikanischen Ländern 50 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Das Rezept dafür ist Public Private Partnership, kurz PPP, gemeinsame Investitionen öffentlicher Institutionen und privater Unternehmen. Mit dabei sind multinationale Großkonzerne wie Nestlé und Heineken, Bayer, Syngenta und Monsanto. Sie alle wollen in einigen der ärmsten Ländern der Welt investieren, nach eigenen Angaben über zehn Milliarden US-Dollar. In Malawi will man so 1,7 Millionen Menschen helfen, einem Zehntel der Bevölkerung. In etwa so viele Menschen leiden in Malawi chronisch an Hunger. Fast jedes zweite Kind ist wegen Mangelernährung unterentwickelt. Und die Bevölkerung wächst rasant, was das Ernährungsproblem weiter verschärft.

Mit der Tabakindustrie gegen den Hunger? Manche sind da skeptisch

Aber wo Tabak wächst, ist kein Platz für Nahrungsmittel. Die Nichtregierungsorganisation UnfairTobacco schätzt, dass in Malawi 750.000 Menschen mehr ernährt werden könnten, wenn auf den Tabakfeldern Lebensmittel angebaut würden. Trotzdem kooperiert die New Alliance in Malawi unter anderem mit dem Tabakhändler Alliance One sowie Limbe Leaf, einem Tochterunternehmen der Universal Corporation, dem zweiten Giganten auf dem Markt für Rohtabak. Gemeinsam kaufen die beiden Unternehmen jedes Jahr etwa 90 Prozent der Tabakernte in Malawi. Mit Hilfe der New Alliance wollen sie ihr Geschäft ausweiten.

Alliance One will eigene Tabakforschungsinstitute gründen und in großem Stil neues Land erwerben.  Derzeit besitzt man 61.000 Hektar Land, 121.000 Hektar sollen es werden. Aber ist Malawi nicht jetzt schon zu abhängig vom Tabak? Ja, sagt Ronald Ngwira, Produktionsmanager bei Alliance One. Die Lösung sei aber nicht, das Land komplett vom Tabak abzubringen. Das Stichwort laute: „Diversifizierung mit Tabak“, also der Anbau auch anderer Produkte.

 Verschärft der Tabak das Hungerproblem? Ngwira ist eloquent, charismatisch. Er stellt eine Gegenfrage: „Sind wir eine Tabakfirma, oder sind wir eine Nahrungsmittelfirma?“ Alliance One gebe den Bauern auch Saatgut und Dünger für Mais – ebenfalls auf Kredit. Das Unternehmen sorge also indirekt auch für den Nahrungsmittelanbau.

Mit der Tabakindustrie gegen Hunger? Rauchen für Malawi?

Für die Umsetzung der New Alliance in Malawi ist die Europäische Union zuständig. Die Grünen-Abgeordnete Maria Heubuch wurde vom Entwicklungsausschuss des EU-Parlaments beauftragt, Bericht zu erstatten. Heubuch empfiehlt der EU, aus der Initiative auszusteigen. Denn sie bezweifelt „die Fähigkeit großer Public Private Partnerships wie der New Alliance, zur Armutsreduzierung und Ernährungssicherung beizutragen, da die Ärmsten die Hauptleidtragenden sozialer und ökologischer Risiken dieses Vorhabens zu werden drohen“. Dabei sollten vor allem die Kleinbauern profitieren. 

Realitätsabgleich beim Tabakbauern Erisa Chisenga: Auch er sagt, dass er gern etwas anderes anbauen würde. Erst ein einziges Mal in fünf Jahren Tabak hat er einen kleinen Gewinn gemacht – wobei diese Rechnung nur aufgeht, wenn er seinen enormen Arbeitsaufwand nicht einberechnet. Die anderen Jahre hat er auf seinem Tabakfeld für nichts geschuftet und seine Gesundheit gefährdet. Der Tabak sollte eine bessere Zukunft für seine Frau und die fünf Kinder bringen. Doch die Familie wohnt noch immer in zwei winzigen Häusern aus roten Ziegeln, gekocht wird auf einem Kohleofen, gegessen werden der Mais und die Kürbisse, die sie neben dem Tabak zur Selbstversorgung anbauen.

Dieses Jahr hat Alliance One seine Ernte von 540 Kilo für einen Dollar pro Kilo gekauft. Seine Kosten beliefen sich auf 850 Dollar.  Nicht der Gewinn, seine Schulden sind gewachsen.

Unser Autor ist Mitarbeiter des Non-Profit-Recherchezentrums Correctiv.org, das sich investigativen Reportagen widmet und über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert