Typ 1: Der Minte

„Mint“ ist die Kennerbezeichnung für eine makellose Platte. Damit kennt sich der anstrengendste, aber auch geduldigste Typ eines Schallplattenkäufers aus. Er ist gern Erbsenzähler und Korinthenkacker, hielt aber auch der Platte die Treue, als kein moderner Mensch mehr eine Rille reiten wollte. Diesen Typus findet man weltweit immer noch am häufigsten in allen Schwarzgoldgruben. Meistens ist er ein Mann. Aussehen egal, Kleidung nachlässig, aber extremer Experte im Schallplatten-Dschungel. Kein noch so abwegiges Detail in der Vinylkultur hat er nicht schon mindestens tausendfach mit Geistesverwandten beschnackt. Die Begriffe, wie man Platten bewertet, sind ihm täglich Brot, Unterschiede zwischen einer Erstpressung und einem Reissue merkt er in einer Nanosekunde. Und außerdem hat er es immer schon gewusst: Vinyl ist das überlegene Medium. Es klingt deeper, wärmer, und man kann es noch in 100 Jahren abspielen, wenn es längst keine CD-Player oder Computer mehr gibt. Er hat natürlich bei allem recht. Sozial gesehen ein Typus, der die Evolution durch seine Beharrlichkeit weitergebracht hat.

Typ 2: Der Moderne

Dieser Typus (Mann wie Frau) braucht den theoretischen Ballast nicht, den das Medium ihm aufbürden will. Wie viele Rillen hat eine Schallplatte? Eine, zwei, viele – so wichtig ist die Antwort nicht. Er findet Schallplatten cool, mag das Griffige, das wunderbare Gefühl, wenn sich die Nadel senkt. Er akzeptiert ganz selbstverständlich das im Vergleich zum Digitalen aufwendigere Handling, seine Eltern kaufen wahrscheinlich eh bei Manufactum, und er ist qua Geburt umständliche Wertigkeit gewohnt.

Auch ob die Platte limitiert ist, die Pressung eine rare oder das Werk noch mal extra für Vinyl remastert wurde: Das ist ihm alles wumpe! Der moderne Schallplattenhörer will einfach nur das Geile am Format Schallplatte. Covergröße, Coolness, Lifestyle. Ein Bart ist ja schließlich auch gleichzeitig unpraktisch und praktisch. Die aktuelle Situation begünstigt sein Leben: So gut wie alles gibt es wieder als Vinyl, der Nahrungsnachschub ist auf Jahre gesichert. Der Moderne ist vielleicht ein Wackelkandidat, wenn es mal wieder ein neues Format geben sollte, aber trotzdem ein nützliches Wesen. Ohne ihn wäre Vinyl eben auch ausgestorben.

Typ 3: Der Sammler

Die beiden ersten Typen können im Laufe ihrer Entwicklung zu einer besonderen Spezies verschmelzen: dem Sammler. Dahin kommen sehr viele Schallplattenkäufer irgendwann: in die Abhängigkeit, zur Sucht. Als lockere Gelegenheitsuser gestartet, enden sie als verbissene, deep diggende Sucher und Jäger verlorener Schätze. Irgendwo muss der Spaß doch aufhören! Dann beginnt die Reinschraubung in den tiefen Sumpf. Mehrere Pressungen von einer Platte, Horten, Vergleichen, nach Preis bewerten – der ganze nerdige, sinnlos sinnig sinnliche Kram. Moralisch nicht zu bewerten. Durch die Sucht findet man auch viele Freunde: Es gibt einfach sehr, sehr viele leidenschaftliche Sammler von Schallplatten. Weltweit. Mit denen kann man sich unterhalten und die Sekte ausbauen. Faszinierend.

Typ 4: Der Mitkommer

Auch eine in allen Farben der Bedeutungslosigkeit schimmernde Person: Der Mitkommer ist zufällig im Plattenladen anzutreffen. Entweder weil ihn jemand mitgenommen hat, oder weil er en passant irgendwie hineingeraten ist. Typische Aussprüche: „Was? Schallplatten, die gibt’s noch?“ und „Ich dachte, das ist ein Kunstbuchladen.“ Er kauft grundsätzlich nichts. Wozu auch, er hat ja keinen Plattenspieler: „Was? Schallplattenspieler, die gibt’s noch?“

Früher, als DJs noch mit 12’s auflegten, waren die Mitkommer oft Frauen, die stundenlang betätigungslos neben dem sich durch Tonnen von Neuerscheinungen hörenden Freund standen. Heute eher selten und zumeist durch den Zufälligen ersetzt, der keine Ahnung hat, was das alles soll. Er hat schließlich ganz normal 78.000 Songs auf seinem Handy und kann sich die anderen drei Milliarden Lieder einfach streamen. Warum soll man zehn Songs in zwei Seiten rundes Plastik reinkratzen und sie sich erst zu Hause anhören können? Na ja, ihm egal.

Gereon Klug ist Plattenhändler. In seinem Laden Hanseplatte im Hamburger Schanzenviertel verkauft er aber auch CDs, Bücher, T-Shirts, Becher, Schlüsselanhänger und sogar Backformen. Berühmt ist Gereon Klug für seine Newsletter, aus denen das Buch „Low-Fidelity: Hans E. Plattes Briefe gegen den Mainstream“ entstanden ist.

Foto: Heinrich Holtgreve