Es gab da diesen Moment bei der ersten Amtseinführung von Barack Obama vor acht Jahren, da standen der frisch vereidigte neue Präsident und seine First Lady auf der Tanzfläche, er im schwarzen Smoking mit weißer Fliege, sie im weißen, mit Swarovski-Steinen bestickten Kleid, und Beyoncé, die gerade die letzte Zeile des Eröffnungssongs des Balles beendet hatte, hauchte mit Tränen in den Augen den Obamas ein Küsschen zu.

Pop und Politik – so eng umschlungen. Heute könnten sie sich nicht ferner sein.

Seit letztem Freitag ist die Liste raus, wer an Trumps Amtseinführung singen wird. Sagen wir so: Die ganz großen Chartstürmer sind nicht darunter. Oder kann jemand spontan den letzten Hit der Band 3 Doors Down nennen? Die Nationalhymne singt Jackie Evancho, die vor sechs Jahren bei der Casting Show „America’s got Talent“ den zweiten Platz machte. Jemand vom Kaliber wie Aretha Franklin, Stevie Wonder, Katy Perry, Lady Gaga oder Beyoncé – sie alle spielten für Obama – sucht man vergeblich.

Peinlich genug, dass sich trotz händeringender Suche kein einziger A-List-Star fand, der für Trump singen will. Elton John, Andrea Bocelli, Garth Brooks, Céline Dion – alle sagten ab. Und sogar Kanye West. Der besuchte immerhin den „president elect“ nach der Wahl und sagte: „Ich habe nicht gewählt. Hätte ich es getan, hätte ich für Trump gestimmt.“ Aber für ihn singen? Nope. Offenbar fürchten die Stars, dass ihnen das die Fans übel nehmen würden.

Absagen sind keine ganz neue Erfahrung für das Team Trump. Schon während des Wahlkampfes untersagten zahlreiche Musiker, dass ihre Lieder bei Trump-Veranstaltungen gespielt werden. Ebenso peinlich waren für das Organisationsteam allerdings die ungebetenen Anfragen. Die lustigste kam von Schauspieler Alec Baldwin, der für Saturday Night Live regelmäßig Trump imitiert. Er würde auftreten, twitterte er, aber nur, wenn er „Highway to Hell“ zum Besten geben dürfe.

Was bei der feierlichen Amtseinführung eines US-Präsidenten passiert, hat weniger mit der Verfassung zu tun – der Präsident muss einen Amtseid schwören, mehr offizielles Zeremoniell ist nicht vorgesehen – als vielmehr mit Tradition. Die Paraden, Ansprachen und Bälle, die an diesem Tag stattfinden, sind im Laufe der Jahrzehnte zum Ritual geworden. Es ist ein Tag, an dem in Amerika nicht nur ein neuer Präsident, sondern auch die Demokratie gefeiert wird.

Und seit gut 50 Jahren ist er auch ein Popkultur-Ereignis. Erstmals kamen sich der Glamour des Showbiz und die Macht der Polit-Elite mit John F. Kennedy ganz nahe, der 1961 als jüngster gewählter Präsident aller Zeiten vereidigt wurde. Damals wirkte Kennedys Freund Frank Sinatra an der Planung des Showprogramms mit, trat selbst auf und brachte gleich halb Hollywood mit. Kennedy nutzte die Symbolkraft des Moments, um sein politisches Programm anzudeuten. In einer Zeit des wirtschaftlichen Wohlstands wollte er den sozialen Wandel vorantreiben.

Immer wieder schärften die künftigen Präsidenten mit dem Musikprogramm ihr Profil. Jimmy Carter, Präsident von 1977 bis 1981, kam aus Georgia. Entsprechend traten die Allman Brothers auf, eine Southern-Rock-Band, was das bodenständige Image des ehemaligen Erdnuss- und Baumwollfarmers unterstreichen sollte. George W. Bush wiederum, der aus Texas stammt und für einen robusten Patriotismus stand, ließ mit Brooks & Dunn und Clint Black Country-Stars auftreten.

„Wir feiern einen neuen Präsidenten, nicht notwendigerweise diesen Präsidenten“

Zu den Präsidenten, die selbst auf die Bühne stiegen, zählt neben Bill Clinton, der mit Clarence Clemons von Bruce Springsteens E Street Band ein Saxofon-Duett spielte, auch George H. W. Bush. Er griff 1989 zur Gitarre, um mit Blueslegende B.B. King zu jammen. Möglich, dass das die Schauspielerin und Musicaldarstellerin Idina Menzel zu ihrem polemischen Vorschlag inspirierte, Trump solle einfach selber singen: „Er denkt bestimmt, er hätte eine großartige Stimme“. Das allerdings wäre sogar für Trump-Verhältnisse eine Überraschung.

Und selbst die, die am 20.1. anreisen, sind gespalten. Der Mormon Tabernacle Choir etwa, der seit 1965 immer wieder bei Inaugurationen sang. Ein Mitglied des 360-Mitglieder-starken Chors aus Salt Lake City trat öffentlichkeitswirksam aus dem Chor aus. Und auch das offizielle Statement klingt eher lauwarm als euphorisch. Mit der Teilnahme wolle sich der Chor für Frieden, Höflichkeit und den friedlichen Übergang der Macht aussprechen, hieß es. In der New Yorker Revuetruppe The Rockettes weigerten sich gleich mehrere Tänzerinnen, nach Washington zu kommen. Das Management überließ es den einzelnen Tänzerinnen, ob sie auftreten oder nicht. Bei einer internen Besprechung sagte der Vorsitzende: „Wir feiern einen neuen Präsidenten, nicht notwendigerweise diesen Präsidenten.“

Nicht mal das wollte schließlich die Broadway-Sängerin Jennifer Holliday. Sie sagte zu ­– und nach einem Tsunami der Kritik schnell wieder ab. Ihr sei ein „Fehler in der Beurteilung unterlaufen“, ließ sie anschließend wissen. Zwei Tage vor den Feierlichkeiten sagte dafür Sam Moore zu. Mit „Soul Man“ hatte der Sänger mit seinem Duo Sam & Dave einen großen Hit. Man müsse Trump eine Chance geben, findet er.

Titelbild: Marc Beckmann / Ostkreuz (Demonstrant ausserhalb der abgesperrten Parade-Strecke auf der National Mall in Washington D.C. bei der  Amtseinführung von George W. Bush, 2005.)