Ich stand in der Schlange vor meinem Berliner Lieblingsclub „Ritter Butzke“, als eine sehr gut aussehende Berlinerin mir die scheinbar harmlose Frage stellte: „Where are you from?“ 

Normalerweise zögere ich dann nicht zu sagen „Israel“ oder „Amerika“, auch wenn diese Länder in manchen diktatorisch geführten Ländern der Welt als „kleiner Satan“ und „großer Satan“ bezeichnet werden. Wenn ich „Israel“ sage, erzählen mir die Deutschen meist, dass sie gerne mal nach Tel Aviv fahren möchten, und gut. Auch wenn ich unsicher bin, wie sie über Israel wirklich denken.

„Wie soll ich so eine Frage nur beantworten, während ich in der Schlange vor einem Club anstehe?“

Ich nahm an, ich sei hier im Begriff, in das universelle Kollektiv von Menschen einzutauchen, die in Clubs tanzen gehen, und dass Nationalitäten hier keine Rolle spielten. 

„Israel“, antwortete ich. 

„Warum unterdrückt Israel die Palästinenser?“ Vielleicht hatte das Mädel schon einen Prä-Club-Drink genommen. In vino veritas. Wie soll ich so eine Frage nur beantworten, während ich in der Schlange vor einem Club anstehe? „So schwarz und weiß ist die Sache nicht“, sagte ich. Ich war nun wirklich nicht scharf darauf, an diesem Ort die Feinheiten und Komplikationen der israelischen Geopolitik zu erörtern. „Am besten fährst du mal hin und machst dir selbst ein Bild.“

„Ich weiß nicht, ob ich überhaupt nach Israel möchte. Dann lieber nach Palästina.“

Politik auf der Tanzfläche

Orit Arfa

Frag nicht: Wie viel Zündstoff doch in der Allerweltsfrage „Where are you from?“ liegen kann

Monate später tanzte ich in der „Süß war gestern“-Bar in Friedrichshain, da stellte ein deutscher Mann mir auch wieder die Problemfrage: „Where are you from?“

Bereits zu angetrunken, um nachzudenken, sagte ich: „Aus Israel.“ 

„Oh, seid ihr Israelis nicht alle so reich?“

„War das jetzt das Äquivalent zu „Sind nicht alle Juden reich?“ – nur ohne den eifernden Beiklang?“

Ich hörte auf zu tanzen und kratzte mich am Kopf. War das jetzt das Äquivalent zu „Sind nicht alle Juden reich?“ – nur ohne den eifernden Beiklang?

Einmal schrieb mir ein Mann auf einer Dating-Website, dass er mich gerne treffen würde, aber nur, wenn ich die Politik von Netanjahu nicht unterstütze. Er hat es bei mir nicht bis zum ersten Date gebracht.

Apropos Dates: Bei einem ersten Date mit einem Mann, den ich im „Ritter Butzke“ kennengelernt hatte, fragte der mich schließlich: „Was ist denn da los in Palästina?“

„Bist du sicher, dass wir darüber jetzt diskutieren sollten?“

„Ich finde das interessant.“

„Dann sag mir doch erst mal, was dir dazu so durch den Kopf geht.“

„Also, ich verstehe nicht, warum Israel in Gebieten baut, die dem Land nicht gehören. Damit verursacht Israel doch Krieg.“

„Wenn ich einen Deutschen das erste Mal treffe, würde ich nie das Thema Holocaust ansprechen oder die Politik Deutschlands kritisieren“

Er spielte offensichtlich auf die israelischen Siedler in der Westbank an, also jener Region, die zu biblischen Zeiten Judäa und Samaria hieß. An diesem Punkt wollte ich zuerst kontern mit der Frage „War dein Großvater ein Nazi?“. Mein Land zu bezichtigen, dass es Kriege auslöse, ist für mich mehr als nur unhöflich. Wenn ich einen Deutschen das erste Mal treffe, würde ich nie das Thema Holocaust ansprechen oder die Politik Deutschlands kritisieren. Ich möchte erst mal die Person kennenlernen. 

Stattdessen gab ich ihm eine Nachhilfestunde, die er nicht haben wollte. Die Siedlungen werden errichtet auf umstrittenem Land (und das ist die offizielle Position der israelischen Regierung). Die Existenz von jüdischen Siedlungen kann keine Rechtfertigung für Terrorismus sein (und Deutsche sollten das wissen). Die arabischen Nachbarn Israels führten auch Krieg gegen Israel, lange bevor es solche Siedlungen wie in Westbank überhaupt gab. 

„Jetzt wirst du aber aggressiv“, sagte er. 

Politik auf der Tanzfläche

Orit Arfa

Heikle Mission: Wenn es in der Partylounge eine Nachhilfestunde in Nahost-Geschichte gibt, hängt das zweite Date am seidenen Faden

Ich erklärte ihm, dass er die israelische Leidenschaft einfach nicht gewohnt sei, und gab ihm noch meine Meinung mit: Da sie in einem konventionellen Krieg gegen Israel nichts ausrichten könnten, verlagerten die Feinde des Landes den Konflikt auf das Feld der öffentlichen Meinung und stellten Israel als einen kolonialistischen Unterdrücker dar – wie man an unserer Konversation ja deutlich sehen konnte. Er entgegnete, dass er die Sache noch etwas tiefer gehend recherchieren müsse, bevor wir das weiter diskutieren könnten. 

„Ich frage mich, ob mein Bekenntnis, aus Israel zu kommen, manche Deutsche zu sehr mit ihrer nationalen Identität und dem konfrontiert, was sich unter deutscher Herrschaft vor 75 Jahren zugetragen hat“

„Ach, übrigens: War dein Großvater ein Nazi?“, fragte ich. Es stellte sich heraus, dass einer seiner Großväter an der Ostfront gekämpft und der andere wegen einer Verletzung einen Schreibtischjob für die Nazis ausgeübt hatte. Er liebte sie beide. Ein zweites Date gab es nicht. 

Ich frage mich, ob mein Bekenntnis, aus Israel zu kommen, manche Deutsche zu sehr mit ihrer nationalen Identität und dem konfrontiert, was sich unter deutscher Herrschaft vor 75 Jahren zugetragen hat. Israel zu attackieren lenkt womöglich von dem Urteil ab, dass Israelis mit einigem Recht über Deutschland und seine Vergangenheit sprechen dürfen. 

Neulich im „Birgit & Bier“ erzählte ich einem Typen, um weitere Konfrontationen zu vermeiden, dass ich aus den Vereinigten Staaten komme. Dann wurde mir klar: Da gibt es auch ein Problem. Donald Trump auf der Tanzfläche zu erklären ist noch viel schwieriger. 

Fotos: Hahn&Hartung