"Das erste Mal habe ich Ritalin von einem guten Freund bekommen, der das immer in der Prüfungsphase genommen hat. Ich hatte überhaupt keine Erfahrung mit Drogen und war auch erst sehr skeptisch. Dann aber war ich ziemlich baff, wie es wirkt: Eine halbe Stunde später fokussierte ich mich total aufs Arbeiten, ich konzentrierte mich nur noch auf die wirklich relevanten Dinge. Und ich merkte sofort, dass es beim Lernen voranging.Kaffee und Traubenzucker allein reichen vielen Studenten heute nicht mehr: Sie greifen zu chemischen Aufputschmitteln. Auch VWL-Absolvent Lukas*, 28, hat während seines Studiums in München jahrelang Ritalin genommen. Ein Protokoll seiner Erinnerungen, aufgezeichnet von Kim Bode:

Danach habe ich angefangen, mir das Ritalin, manchmal auch Modafinil, selbst zu besorgen. Ich habe es mir vom Arzt verschreiben lassen. Den davon zu überzeugen, war auch nicht wirklich schwer: Ich hatte mir einfach im Internet durchgelesen, was ADS kennzeichnet (eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung, gegen die Ritalin eingesetzt wird – die Redaktion). Die Rezepte waren für je eine Tablette täglich, die habe ich dann gehortet, weil ich in den Prüfungsphasen mehr davon brauchte. Dann waren es sogar manchmal bis zu vier oder fünf Tabletten am Tag.

Das Zeug wirkt dann in einer Art Teufelskreis: Wenn die Wirkung nachlässt, fühlt man sich erschöpft, umso unkonzentrierter und hat den drängenden Wunsch, noch eine Tablette zu nehmen. So kommt man sehr schnell in eine psychische Abhängigkeit.

Fokussiert und verschlossen

Am Anfang hatte ich mir noch gesagt, ich nehme es nur vor ganz schweren Prüfungen. Aber als ich gesehen habe, wie gut es funktioniert und dass die Noten stimmen, habe ich es dann doch in jeder Prüfungsphase genommen. Später auch vor Vorstellungsgesprächen oder Präsentationen. Es war für mich der einfachere Weg, als mich meinen Ängsten zu stellen. Denn bevor ich mit dem Ritalin angefangen hatte, war ich durch zwei Prüfungen gefallen und hatte eine regelrechte Prüfungsangst entwickelt. Mit den Tabletten fühlte ich mich sicherer, ähnlich wie mit einem Spickzettel, nur dass die Tabletten einen tatsächlichen Effekt aufs Gehirn haben. Das Ritalin unterdrückt negative Gefühle, das Lampenfieber verschwindet, der Stress wird unterdrückt. Man fühlt sich auch erhaben gegenüber anderen, hat ein gesteigertes Ego. So ähnlich stelle ich mir die Wirkung von Kokain vor.

Aber auch die anderen bekommen mit, dass man sehr fokussiert und verschlossen ist, aufgedreht, gereizt und aggressiv. So merkte ich auch schnell meinen Mitstudenten an, wer gerade "high" war und wer nicht. Denn obwohl die meisten es verheimlichen und sich wahrscheinlich, wie ich, nur unter sehr engen Freunden darüber austauschen, glaube ich, dass Ritalin unter Studenten sehr weit verbreitet ist. Besonders bei sehr lernintensiven Fächern wie Jura, VWL und BWL.

Ich selbst habe es immer strikt geheim gehalten. Deswegen möchte ich hier auch nicht meinen richtigen Namen nennen. Ich schäme mich für dieses Gehirn-Doping. Schon damals empfand ich es als charakterliche Schwäche, dass ich dem Drang immer wieder nachgegeben habe. Ich war aber auch zu schnell davon überzeugt, dass die Kommilitonen es auch alle machen – und ich am Ende der Doofe sein könnte, der es nicht macht. Die gelb-weiße Ritalin-Packung habe ich in der Uni häufig wiedererkannt: Sie ragte bei Mädchen aus der Handtasche oder lag bei manchen in der Klausur unter der Bank.

Mir ist vollkommen klar, dass diese Art von Gehirn-Doping nicht fair ist. Trotzdem verhält es sich wie beim Doping im Sport: Da ist auch der faire Wettkämpfer am Ende der Gelackmeierte. Wer nicht dopt, kann nicht mithalten. Doping im Studium ist allerdings einfacher als im Sport: Es gibt ja keine Kontrollen und ausdrücklich verboten ist es auch nicht.

Filmriss beim Date

Meiner Meinung nach geht die Öffentlichkeit nicht gut damit um. Die Berichterstattung finde ich viel zu reißerisch, als wären es ein paar einzelne Spinner, die im Studium Aufputschmittel nehmen. Mein Eindruck aus München ist, dass es schon ziemlich viele sind und mit dem Bachelor auch immer mehr werden. Denn der Leistungsdruck, der dahintersteckt, ist doch dem Aufbau des Studiums geschuldet. Es ist eben schwer, beim banalen Auswendiglernen die Konzentration über Stunden, Tage und Wochen zu halten. Und dabei die Angst im Rücken zu haben, exmatrikuliert zu werden, wenn man zu häufig durchfällt.

Aufputschmittel der Fairness halber zu legalisieren, wäre auch keine Lösung. Ich habe am eigenen Leib die Nebenwirkungen erfahren. Ritalin fällt nicht umsonst unter das Betäubungsmittelgesetz. Während der Prüfungsphasen habe ich kaum geschlafen, höchstens vier Stunden pro Nacht, bin abgemagert, weil ich keinen Hunger hatte. Der Körper ist danach fix und fertig. Ich habe Lichtblitze gesehen, weil ich so übermüdet war.

Und einmal hatte ich sogar einen Filmriss, als ich das Aufputschmittel vor einem Date genommen hatte. Das war sowieso gar keine gute Idee, denn man wird ja davon total arrogant und überheblich. Das kam bei ihr natürlich nicht so gut an. Dazu hatte das Ritalin in Kombination mit Alkohol einen verheerenden Effekt: Es hat die Erinnerung an den Abend am Ende völlig ausgesetzt."

*Name von der Redaktion geändert