Thema – Identität

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Kein Bock

Zwei asexuelle Frauen über ihr Coming-out, Dates und Sätze, die sie nie wieder hören wollen

Asexualität

Asexuelle verspüren keine sexuelle Anziehung, viele haben gar keinen Sex. Als Andrea (51) jung war, wusste kaum jemand, dass das eine sexuelle Orientierung sein kann. Für Anna-Lena (27) war es schon um einiges einfacher, das herauszufinden. Ein Gespräch

fluter.de: Asexualität wird erst seit Beginn der 2000er-Jahre überhaupt als sexuelle Orientierung wahrgenommen. Wie habt ihr herausgefunden, dass ihr asexuell seid?

Anna-Lena: Vor zweieinhalb Jahren hatte ich in der Uni ein Seminar, in dem es um Sexualität ging. Ich dachte immer, ich kenne mich in diesem Wortsalat LGBTIQ* aus – aber von Asexualität hatte ich noch nie gehört. Ich recherchierte und dachte: Oh, wow, da gibt es einen Begriff, der beschreibt, wie ich mich fühle. Vorher dachte ich immer, ich sei hetero oder bi und eben komisch.

Andrea: In den Neunzigern war ich mit einem heterosexuellen Mann verheiratet. Ich habe hin und wieder eingewilligt, Sex zu haben, um ihm einen Gefallen zu tun. Und um der Norm zu entsprechen, dass Ehefrauen natürlich Sex mit ihrem Mann haben. Er hat das zum Glück nie massiv eingefordert und war sehr rücksichtsvoll, aber so ganz darauf verzichten wollte er auch nicht. Letztendlich ist die Ehe daran gescheitert.

Und danach?

Andrea: … hatte ich einige Beziehungen. Und auch mal One-Night-Stands. Ich dachte, irgendwann muss ich ja mal den finden, mit dem das toll ist und habe festgestellt: Den gibt es nicht. Vor fünf Jahren habe ich im Internet zum ersten Mal von Asexualität gelesen. Da habe ich mich – wie Anna-Lena eben sagte – wiedergefunden. Eine unglaubliche Erleichterung.

„Klar gibt es in Büchern und Serien endlich auch mal schwule Pärchen oder Polyamorie. Aber auch da wird immer ausgedrückt: Sex haben ist super“

Was heißt denn Asexualität für euch?

Andrea: Mir ist egal, ob mein Partner männlich oder weiblich ist – weil Sex für mich sowieso ausgeschlossen ist. Ich bezeichne mich als asexuell und biromantisch.

Anna-Lena: Das ist wichtig: Asexualität ist ein Spektrum, also bei allen unterschiedlich. Ich finde Körperkontakt mit Menschen, die ich mag, zum Beispiel völlig in Ordnung, – verspüre aber weder sexuelle Anziehung noch Verlangen nach sexueller Interaktion. Es gibt verschiedene Arten von Anziehung: romantische und sexuelle.

Five shades of A – Das asexuelle Spektrum

Asexuelle verspüren keine sexuelle Anziehung und/oder kein Verlangen nach Sex

Aromantische empfinden keine romantische Anziehung, wollen also keine Liebesbeziehung führen

Demisexuelle empfinden sexuelle Anziehung – aber erst nach Aufbau einer engen emotionalen Bindung

Graysexuelle empfinden sexuelle Anziehung nur selten und/oder sehr schwach

Lithsexuelle/Lithosexuelle empfinden sexuelle Anziehung, haben aber weder den Wunsch, sexuell begehrt zu werden, noch mit anderen Menschen Sex zu haben

(Quelle: AktivistA)

Wie hast du das herausgefunden?

Anna-Lena: Ich war sechseinhalb Jahre mit einem heterosexuellen Mann zusammen. Klar war ich anfangs neugierig und dachte: Sex gehört dazu. In der aufgeklärten Links-Öko-Blase, in der ich unterwegs bin, sind ja alle eher offen, und das wollte ich natürlich auch sein. Der Sex ging dann irgendwann aber weder von mir aus, noch fand ich ihn toll. Ich machte es nur für meinen Partner. Wir haben überlegt, ob er Sex außerhalb der Beziehung haben könnte, aber das wollte er nicht. Wir haben beide versucht, uns aufeinander einzulassen. Aber wir kamen nicht weiter und taten uns nur weh.

Heute wissen gerade junge Leute immer mehr über sexuelle Orientierungen und Identitäten. Trotzdem gibt es immer noch den Druck, viel und guten Sex haben zu müssen.

Anna-Lena: Ich finde, der ist vor allem medial vermittelt, über Bücher und Serien. Klar gibt es da jetzt endlich auch mal schwule Pärchen oder so was wie Polyamorie. Aber auch da wird immer ausgedrückt: Sex haben ist super – halt auf die Art und Weise, die ihr möchtet. Das ist auch in meinem jungen und aufgeklärten Umfeld omnipräsent.

Andrea: Deswegen finde ich es so wichtig, Asexualität bekannt zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass es viele gibt, die in einer Beziehung festsitzen und versuchen, dem angeblichen Ideal zu entsprechen, obwohl es ihnen nicht guttut.

Hat dein offen über Sexualität sprechendes Umfeld diesen Druck nicht noch mal verstärkt, Anna-Lena?

Anna-Lena: Nein. Mir hat es die Möglichkeit gegeben, zu sehen, dass Menschen verschiedene Bedürfnisse haben. Ich konnte nach und nach feststellen, dass keines der Labels zu mir passt – bis ich Asexualität gefunden habe. Meine Freund*innen haben sehr positiv reagiert, aber richtig verstehen konnte es niemand.

Andrea: Ich bekomme gerade beim Dating oft wohlwollende „Heilungsangebote“. Da fällt schon mal der Spruch „Ich zeig dir mal, wie es richtig geht, dann wirst du schon Spaß daran haben.“ Viele denken immer noch: „Das geht vorbei.“ Wie früher bei Homosexuellen.

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Andrea (Foto: privat)
Bei ihrem Coming-out war Andrea … (Foto: privat)

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Anna-Lena (Foto: Heiner Steinacker)
… etwa doppelt so alt wie Anna-Lena (Foto: Heiner Steinacker)

Anna-Lena: „Das ist nur eine Phase“ … oder, auch beliebt, „Du hast einfach noch nicht den Richtigen getroffen“.

Andrea: Genau solche Sprüche. Die Leute denken, Asexuelle sitzen jeden Abend heulend auf dem Bett. Aber mir geht’s gut. Ich habe deswegen nicht weniger Spaß am Leben.

Ihr wollt beide euren Nachnamen nicht nennen. Warum?

Andrea: Ich möchte nicht, dass mich Arbeitgeber im Internet finden. Ich habe keine Lust, mich rechtfertigen zu müssen.

Anna-Lena: Ich bin Lehrerin und noch nicht bereit, mit Schüler*innen über meine Sexualität zu sprechen. Ich glaube, da kommen viele negative Reaktionen und übergriffige Fragen.

Andrea: Bei den Fragen ist oft Neugier, aber auch Unverständnis und Abwertung dabei.

Ihr seid beide nicht aromantisch, also offen für Beziehungen. Wie geht ihr bei Dates mit eurer Asexualität um?

Andrea: Relativ offen. Ich habe das auch schon genutzt, um lästige Verehrer loszuwerden. Die sind dann schneller weg, als sie aufgetaucht sind. Leider ist das auch bei Männern so, die ich gern kennenlernen würde.

Anna-Lena: Momentan bin ich gar nicht sicher, ob ich eine exklusive romantische Beziehung will. Am Ende kann ich der anderen Person, die Sex will, doch nicht gerecht werden, egal wie wertschätzend wir uns begegnen oder wie viel wir reden.

2001 hat der asexuelle Aktivist David Jay das amerikanische Netzwerk AVEN (Asexual Visibility and Education Network) gegründet, das auch einen Ableger in Deutschland hat. Nutzt ihr solche Foren?

Andrea: Die AVEN-Seite ist super, um sich zu informieren. Es gibt dort auch eine Partnerbörse. Allerdings sind da viele seltsame Gestalten unterwegs, von denen einige gar nicht asexuell zu sein scheinen. Ich habe dort mal einen Mann kennengelernt, der mich nackt in Gummistiefeln sehen wollte.

Anna-Lena: Ich nutze vor allem den neuen Discord-Server für das asexuelle und aromantische Spektrum in Deutschland. Darüber habe ich auch von den Stammtischen gehört – und selbst einen in Stuttgart organisiert. Der Austausch hat mir total gutgetan. 

„Andere Queere kämpfen dafür, dass sie ihre sexuelle Identität ausleben können. Plötzlich kommen Asexuelle und kämpfen dafür, keinen Sex haben zu müssen“

Inzwischen wird die queere Community auch LGBTQIA+ genannt, wobei das A für das asexuelle Spektrum steht. Wie nehmt ihr die Akzeptanz innerhalb der Community wahr?

Anna-Lena: Manche Asexuelle erzählen, dass sie in der queeren Community teils als Angreifer gesehen werden: Diese Menschen kämpfen immer noch dafür, dass sie in ihrer sexuellen Identität anerkannt werden und dass sie die ausleben können. Plötzlich kommen wir und kämpfen dafür, keinen Sex haben zu müssen. Das kann manchmal schwierig sein.

Hat sich die Auseinandersetzung mit eurer Asexualität, die ja zugleich ein Aufbegehren gegen sexuelle Normen ist, auf eure Haltung in anderen Lebensbereichen ausgewirkt?

Andrea: Ich bin überzeugt: Anders ist nicht besser und nicht schlechter, sondern einfach anders. Durch diese Erkenntnis bin ich wirklich tolerant geworden, würde ich sagen.

Anna-Lena: Ich habe gelernt, zu erkennen, was mir guttut und was nicht, und meine Bedürfnisse entsprechend zu vertreten – in allen Lebensbereichen. Wenn ich heute marginalisierende oder pauschalisierende Aussagen über sexuelle Orientierungen höre, verteidige ich mich und andere.

Was wünscht ihr der nächsten Generation Asexueller?

Andrea: Sichtbarkeit. Dass Asexualität als genauso normal angesehen wird wie viele andere sexuelle Orientierungen. Anna-Lena hatte durch das Internet und die zunehmende gesellschaftliche Toleranz glücklicherweise schon viel früher die Möglichkeit, sich ihrer Asexualität bewusst zu werden.

Anna-Lena: Akzeptanz. Niemandem sollte ein Sexleben aufgezwungen werden, das sich falsch, komisch oder unvollständig anfühlt – und in dem sich die Person dauerhaft fragt, was vermeintlich falsch mit ihr ist.

 

Titelbild: Max Siedentopf

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.