Jede Woche marschiert in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, eine Gruppe Menschen mit einer DDR-Fahne durch die Straßen. Sie demonstrieren, sie wollen Geld. Geld, das sie in der DDR verdient haben, als es die noch gab. Madgermanes nennen sie sich, abgeleitet von „Made in Germany“, denn sie gehörten zu den insgesamt rund 20.000 Vertragsarbeitern, die zwischen 1979 und 1989 aus dem südostafrikanischen Land in die DDR entsandt wurden. 

In Mosambik hatte 1975 die marxistische Miliz FRELIMO einen langen Befreiungskampf gegen die portugiesischen Kolonialherren gewonnen, war fortan alleinherrschende Partei der neuen Volksrepublik und knüpfte Verbindungen zu den jungen sozialistischen Bruderstaaten – wie der DDR. Arbeitskräfte wurden getauscht gegen Baumaschinen, Medikamente und andere Produkte – möglicherweise auch Waffen, denn in Mosambik herrschte seit 1977 ein 15 Jahre andauernder Bürgerkrieg, der Schätzungen zufolge bis zu eine Million Todesopfer forderte.

Die in Hamburg lebende Zeichnerin Birgit Weyhe hat aus den Lebensgeschichten der Madgermanes einen Comic gemacht, und es ist ein großartiges Buch geworden. Mit vielen Mosambikanern hat Weyhe gesprochen und ihre Geschichten am Ende auf drei fiktive Charaktere verdichtet: den schüchternen, strebsamen und FRELIMO-linientreuen José, den alle Toni nennen, weil die Deutschen das besser aussprechen können. Sein Zimmergenosse Basilio aus der Hauptstadt Maputo, ein lebensfroher Playboy, der das Beste aus dem Sozialismus herausholt und nicht wirklich an Morgen denkt. Und Anabella, Tonis vorübergehende Freundin, deren Familie schwer unter dem Bürgerkrieg gelitten hat und die sich letztlich als der stärkste der Charaktere erweisen wird.

Alle drei sind mit großen Träumen in die DDR gekommen: Lehrer, Ingenieur, Ärztin wollen sie werden. Stattdessen müssen sie auf dem Bau arbeiten und Wärmflaschen herstellen, sie sind Hilfsarbeiter. Sie leben in Wohnheimen und 60 Prozent ihres Lohns wird einbehalten und nach Mosambik geschickt, für die Zeit nach der Rückkehr. Auch sollen die Mosambikaner so wenig Kontakt wie möglich zur einheimischen Bevölkerung aufbauen – und schwangere Frauen werden sofort abgeschoben.

Mehr oder weniger offener Rassismus

Nacheinander erzählt Weyhe die drei Biografien, entblättert Schicht für Schicht die persönlichen Details und geschichtlichen Zusammenhänge. Sie erzählt von kultureller Identität und neuen Welten, von Ablehnung und Anpassung, vom mehr oder weniger offenen Rassismus durch die deutsche Bevölkerung, aber auch von guten und fruchtbaren Begegnungen mit Deutschen – wobei das für Toni, Basilio und Anabella jeweils etwas anderes bedeutet.

Wie schon in „Im Himmel ist Jahrmarkt“ (2013), in dem sie im großen Bogen die Geschichte ihrer beiden Großmütter erzählt, zeigt sich Birgit Weyhe als Meisterin in der Fiktionalisierung von gelebter Geschichte. Ihre Charaktere sind vielschichtig und absolut glaubhaft, ihr Storytelling verbindet kleine Details und Alltägliches, etwa Tonis erster Tag im Schnee, mit dem Blick für das große Ganze, ist dabei oft ernst, manchmal sogar drastisch, aber niemals schwer. 

Auch die Bildebene gestaltet Weyhe vielseitig. Die recht harten, farbarmen Zeichnungen aus dem Alltag der Madgermanes durchbricht sie mit zahlreichen grafischen Elementen. Einerseits sind das Zeitdokumente aus der DDR und Mosambik: Briefmarken, Filmplakate, Wappen, Abzeichen, Markenprodukte. Andererseits aber auch illustrative Bilder von hoher assoziativer Kraft: Tiere, Blumen, Muster. Immer wieder findet Birgit Weyhe Wege, Stimmungen und Gefühle zu illustrieren, variiert Zeichenstile und Auftragstechnik. Dass sie dabei auch Anleihen an afrikanische Motiviken macht, erklärt sich nicht allein aus dem Stoff von „Madgermanes“: Birgit Weyhe selbst hat ihre Kindheit in Uganda und Kenia verbracht.

Das Ende der DDR im Jahr 1989 ist auch für Toni, Basilio und Anabella eine Zäsur. Das wiedervereinigte Deutschland hat kein Interesse daran, die mosambikanischen Vertragsarbeiter – mit zu dem Zeitpunkt rund 15.000 Menschen mit Abstand die zweitgrößte Gruppe nach den Vietnamesen – im Land zu behalten („Die hatten schon ihre Türken“, kommentiert Basilio). Zudem wächst der offene Rassismus in den neuen Bundesländern. 

Die meisten müssen zurück nach Mosambik und komme doch nie richtig dort an: Was sie an den Werkbänken der DDR gelernt haben, bringt ihnen hier wenig bis nichts. Gleichzeitig haben sie sich vom einfachen Leben in ihrer Heimat entfremdet und vermissen die Annehmlichkeiten und Verbindlichkeiten des Lebens in Europa. Das Schlimmste aber: Von dem Geld, das sie verdient hatten und das in Mosambik auf sie warten soll, sehen die Madgermanes fast nichts. Weil ihnen das aber niemand glaubt, werden sie auch noch als geizig und arrogant betrachtet. 

Wie so viele Migranten und Wanderer zwischen zwei Gesellschaften haben sie nun gar kein richtiges Zuhause mehr, viele von ihnen fassen nie wieder wirklich Fuß in Mosambik. Um ihren Lohn kämpfen sie bis heute.

Birgit Weyhe: „Madgermanes“. Avant-Verlag, Berlin 2016, 240 Seiten, 24,95 Euro

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