Ausgerechnet beim amerikanischen Militär hat Liz McDuffie Marihuana für sich entdeckt. Ende der 1960er Jahre unterrichtete die Amerikanerin in Heidelberg US-Soldaten, in ihrer Freizeit demonstrierte sie gegen den Vietnamkrieg. Weil sie unter schwerer Migräne litt, suchte sie verschiedene Ärzte auf, von denen ihr einer Haschisch empfahl. McDuffie ging in einen der vielen US-Clubs in Frankfurt und kaufte Marihuana. „Das hat mir die Schmerzen genommen“, sagt sie. Heute sitzt McDuffie in einer kleinen Praxis in Pasadena in Kalifornien – und berät Patienten, die ebenfalls Marihuana nehmen wollen. Sie trägt einen orangefarbenen Schlabberpulli, ihre roten Haare hängen herab wie ein Strauß welker Blumen, auf ihrem Schoß sitzt ein kleiner Hund, den sie mit einer Hand streichelt, während sie redet. „Obwohl Haschisch in Kalifornien zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden darf, wissen viel zu wenige Patienten, Pfleger und Ärzte, was sie dabei beachten müssen.“ Deswegen bietet McDuffie Fortbildungen an, in denen man erfährt, wie man eine Cannabis-Kooperative gründet, wie man Salben und Tinkturen mit Cannabis herstellt und welche Gesetze dabei zu beachten sind.

Anfang November 2010 scheiterte der „Volksentscheid Nummer 19“ zur Legalisierung von Marihuana in Kalifornien nur knapp. Die Konsumenten und Hanfproduzenten wollten nicht weiter kriminalisiert werden, der fast bankrotte Staat erhoffte sich Steuereinnahmen. Die Debatte im Vorfeld hat auch die Verwendung von Cannabis als Medikament erneut angefacht. Den Befürwortern stehen u. a. konservative Politiker entgegen, die Angst haben, dass sich Jugendliche leichter mit Gras versorgen können, wenn es das erst auf Rezept gibt. Auch in Deutschland wird diskutiert, seit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler angekündigt hat, cannabishaltige Arzneimittel zur Behandlung bestimmter Krankheiten zulassen zu wollen. Seit Jahrzehnten gibt es auch in Deutschland immer wieder Ärzte, die in halluzinogenen Substanzen die neuen Waffen im Kampf gegen Depressionen und andere Krankheiten sehen. Zum Beispiel in dem als Partydroge der Technoszene bekannt gewordenen Ecstasy. Im Juli dieses Jahres veröffentlichte der amerikanische Psychiater Michael Mithoefer das Ergebnis einer Studie, für die er 20 Menschen behandelt hatte, die unter den Erinnerungen an ein furchtbares Erlebnis litten. Die meisten von ihnen waren Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden waren, einer war Soldat im Irakkrieg. Die Patienten litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – das heißt, sie erlebten ihre Qualen immer wieder neu, sie hatten Schlafprobleme, Angstzustände und Selbstmordgedanken. Nach Mithoefers Erkenntnis könnte eine Kombination von Therapie und der Verabreichung des Ecstasy-Wirkstoffs MDMA diesen Patienten helfen.

Andere Mediziner sind da skeptisch. Simon Wesseley, Psychiater am King’s College London, glaubt, dass die Studie zu klein gewesen sei, um aussagekräftige Schlussfolgerungen zuzulassen. „Meiner Erfahrung nach ist therapieresistente PTBS eine komplexe Erkrankung mit vielen Ursachen – wir sollten bei ‚Wunderheilungen' sehr vorsichtig sein.“ Ecstasy ist nicht die einzige Droge, für die sich Mediziner interessieren: LSD gegen Kopfschmerzen, Magic Mushrooms gegen Alkoholsucht, Ketamin gegen Depressionen, all diese Möglichkeiten wurden untersucht. Grund ist eine einfache Erkenntnis: Die psychedelischen Drogen greifen in die feine Balance von Botenstoffen im Gehirn ein. So versetzen sie die Partygänger in Euphorie – aber zunehmend auch ganz nüchterne Psychiater und Neurologen. „Das sind ungeheuer mächtige Substanzen“, sagt der britische Psychiater und ehemalige Drogenberater der britischen Regierung David Nutt. „Leider hat ihr Verbot 50 Jahre lang die Forschung behindert.“ Andere Wissenschaftler halten die Verbote und Sicherheitsbestimmungen weiterhin für dringend notwendig, da manche der Substanzen gravierende Nebenwirkungen haben.

Schon einmal wurde das Potenzial von LSD und Co beschworen. Alles begann mit einem Magic-Mushroom-Trip des Harvard-Psychologieprofessors Timothy Leary in den sechziger Jahren und endete mit seinem Rat an eine ganze Generation, Drogen zu nehmen und gesellschaftliche Zwänge abzuwerfen. Zunächst unterstützte die Universität Harvard die Forschung von Leary, der etwa untersuchte, ob Psilocybin – der Inhaltstoff mancher Pilze – die Resozialisierung von Gefangenen vorantreiben könnte. Berichte über ausufernde Drogenpartys in Learys Haus und Vorwürfe, er habe Drogen an Studenten gegeben, führten dazu, dass er seinen Job verlor. Die von Drogenkonsum angekurbelte Gegenkultur wurde zu einem Problem für die Machthaber. „Wer sollte denn in Vietnam kämpfen? Es ging um Konformität“, sagt Nutt. Die Substanzen wurden verboten, Leary – der laut Nixon „gefährlichste Mann Amerikas“ – experimentierte weiter mit Drogen, wurde schließlich festgenommen und verurteilt, das Forschungsfeld brach zusammen. „Die Karriere vieler Forscher stand auf Messers Schneide, und sie haben sich etwas anderem zugewandt“, sagt der Psychiater John Halpern.

Ausgerechnet an einem Krankenhaus in Harvard, wo die psychedelischen Träume einst begraben wurden, könnte ihre Renaissance begonnen haben. John Halpern arbeitet am McLean-Krankenhaus der Universität und untersuchte Anhänger der Peyote-Religion. Diese Kirche, der etwa 300.000 Indianer angehören, benutzt in ihren Gottesdiensten den Peyotekaktus, der das berüchtigte Rauschgift Meskalin enthält. „Das waren die perfekten Menschen, um die Langzeitwirkung so einer Droge zu untersuchen“, so Halpern. „Sie haben sie über Jahre einmal im Monat zu sich genommen. Ihre Religion verbietet ihnen andere Drogen wie Alkohol.“ Halpern ließ die Peyote einnehmenden Navajo-Indianer eine ganze Reihe psychologischer Tests machen und verglich ihr Abschneiden mit dem zweier anderer Navajo-Gruppen: ehemaliger Alkoholabhängiger und Menschen, die kaum Alkohol oder andere Drogen zu sich nehmen. Das Ergebnis: Die Peyote konsumierenden Indianer schnitten so gut ab wie die Kontrollgruppe, bei den Alkoholikern hingegen waren klare Folgen ihrer Sucht festzustellen.

Dass der Umgang mit Drogen Risiken birgt, zeigt der Fall eines Berliner Arztes, der am 19. September 2009 in einer „Therapiesitzung“ zehn Patienten ein Amphetamin namens Neocor und später Ecstasy gegeben hatte. Das traurige Ergebnis: Zwei Patienten starben an dem Drogencocktail, ein weiterer lag wochenlang im Koma. „Das war ein Scharlatan“, sagt Halpern. „Diese sogenannte Therapie ist nicht zugelassen. Er hat seinen Patienten einen kaum untersuchten Stoff gegeben und dann auch noch um das Zehnfache überdosiert.“ Auch Halpern forscht zurzeit mit Ecstasy. Er untersucht, ob MDMA das psychische Leid krebskranker Menschen am Ende ihres Lebens mildern kann. Vor Kurzem hat er zudem eine Studie mit Menschen durchgeführt, die unter Cluster-Kopfschmerzen leiden. Diese Schmerzen sind so stark, dass sie auch als Selbstmord-Kopfschmerzen bezeichnet werden. Einige Patienten nehmen zur Linderung LSD. Zusammen mit dem Psychiatrie-Facharzt Torsten Passie testete Halpern die Substanz 2-Bromo-LSD, im Grunde ein Brom-Atom, an dem ein LSD-Molekül hängt. „Der Effekt war enorm“, sagt Halpern. „Einige der Patienten, die vorher täglich Attacken hatten, hatten monatelang keine.“ Das Besondere an 2-Bromo-LSD sei, dass es im Gegensatz zu LSD keine Halluzinationen hervorrufe. „Wir wollten zeigen, dass der Effekt auf die Kopfschmerzen nicht unbedingt mit der halluzinogenen Wirkung zusammenhängt.“ Psychedelische Drogen könnten Forschern also auch nur dazu dienen, den Weg zu neuen Medikamenten zu weisen. Psychiater Nutt sieht noch einen anderen Sinn: „Wir sollten Substanzen wie Ecstasy nicht verbieten, sondern Pharmafirmen dazu bringen, besseres, sichereres Ecstasy herzustellen.“