Unter dem Eindruck der massenhaften Flüchtlingsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen im Jahr 1951 einige Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention. Die Vertragspartner verpflichten sich darin verbindlich, alle Flüchtlinge auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu schützen, und sie werden dabei vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen überwacht und unterstützt. Bis auf manche arabische und asiatische Länder haben inzwischen 149 Staaten das Abkommen und/oder das den Wirkungsbereich zeitlich und geografisch erweiternde Protokoll von 1967 unterzeichnet. Das bedeutet aber nicht, dass sich alle auch daran halten. Vier Artikel der Konvention, um die besonders heftig gestritten wird.

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bitte_mal_etwas_konventioneller_i.jpg (Illustration: Daniel LeBon)
(Illustration: Daniel LeBon)

Artikel 1: Definition des Begriffs „Flüchtling“

Der erste Artikel der Flüchtlingskonvention definiert, wer als Flüchtling gilt: Das sind alle Personen, die wegen ihrer Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder sozialen Gruppe Verfolgung fürchten müssen. Voraussetzung ist außerdem, dass sie ihr Land verlassen haben. Damit gilt die Konvention nicht für die derzeit weltweit geschätzt 38,2 Millionen Flüchtlinge, die innerhalb ihres Herkunftslandes auf der Flucht sind. Des Weiteren nicht ausdrücklich genannt werden Menschen, denen wegen ihrer sexuellen Orientierung im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs können sie trotzdem als Flüchtlinge anerkannt werden.
Die Unterzeichnerstaaten des Genfer Abkommens behandeln die Flüchtlinge in ihren Ländern häufig sehr unterschiedlich. Die Türkei etwa hat die Konvention nur unter Vorbehalt unterzeichnet: Dort gelten die Bestimmungen lediglich für Flüchtlinge, die aus Europa kommen, nicht aber für Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt, zum Beispiels aus Syrien. Das hat zur Folge, dass Flüchtlinge aus nichteuropäischen Ländern von der Türkei nicht dauerhaft aufgenommen werden; sie können nur so lange bleiben, bis ein anderer Aufnahmestaat gefunden wurde.
Im Sommer hatte die Slowakei für Empörung gesorgt, als es hieß, man wolle ausschließlich christliche Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Aufgrund des öffentlichen Drucks entschärfte das Innenministerium diese Ankündigung jedoch schnell wieder.

Artikel 31: Flüchtlinge, die sich nicht rechtmäßig im Aufnahmeland aufhalten

Artikel 31 der Flüchtlingskonvention besagt, dass für die irreguläre Einreise von Flüchtlingen in ein Land keine Strafe verhängt werden darf, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und ihre Gründe darlegen. Dagegen verstößt etwa Ungarn: Wer hier einen Asylantrag stellt, dem droht zunächst die Inhaftierung. Allein zwischen 2013 und 2014 wurden laut PRO ASYL fast 4.000 Asylsuchende eingesperrt, die dort unter katastrophalen Zuständen in völlig überfüllten Gefängnissen untergebracht sind. Ähnliches berichten die Vereinten Nationen sowie Amnesty International aus Tschechien und Malta. Kürzlich hat Ungarn eine Gesetzesänderung verabschiedet, die die illegale Einreise zur Straftat erklärt: Sie kann nun mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden.

Artikel 33: Verbot der Ausweisung und Zurückweisung (non-refoulement)

Laut Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention darf kein Flüchtling in ein Land ausgewiesen werden, in dem „sein Leben oder seine Freiheit“ bedroht wäre. Darauf bezieht sich etwa die unabhängige Menschenrechtsorganisation PRO ASYL mit ihrer Kritik an der deutschen Abschiebepraxis: Vor allem Asylanträge von Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten können in Deutschland als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt und die Antragsteller abgeschoben werden. Auch auf EU-Ebene wird die Einführung einer solchen Liste „sicherer Herkunftsländer“ diskutiert. PRO ASYL kritisiert seit Längerem, dies könne dazu führen, dass Personen abgeschoben werden, die dann in ihrem Herkunftsstaat weitere Verfolgung befürchten müssen.

Auf Kritik vieler Politiker stieß in diesem Zusammenhang auch schon oft die europäische Dublin-Verordnung: Sie legt fest, dass derjenige EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, den der Flüchtling auf seiner Flucht als ersten betreten hat – weshalb Flüchtlinge nicht in das Land einreisen können, in das sie eigentlich wollten. Damit sind jedoch häufig Staaten an den EU-Außengrenzen zuständig, in denen für Flüchtlinge meist menschenunwürdige Zustände herrschen. In Bulgarien zum Beispiel sollen Flüchtlinge nach Angaben von PRO ASYL systematischen Misshandlungen und Erniedrigungen ausgesetzt sein.
Einen klaren Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung stellen außerdem die als „push-back“ bekannt gewordenen Zurückweisungen von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen dar – etwa manche Einsätze der griechischen Küstenwache, die mit ihren Schiffen Flüchtlingsboote aus griechischen Territorialgewässern herausdrängten und sie dort ihrem Schicksal überließen.

Artikel 24: Arbeitsrecht und soziale Sicherheit

Artikel 24 der Genfer Flüchtlingskonvention garantiert anerkannten Flüchtlingen, die sich rechtmäßig auf dem Gebiet des aufnehmenden Staates befinden, das Recht auf Arbeit und auf soziale Absicherung. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, ebenso wie die Bürger des Aufnahmelandes selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen zu können. In der Praxis sieht dies aber häufig anders aus: In Griechenland beispielsweise haben es Flüchtlinge angesichts der dortigen Wirtschaftskrise schwer, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, wodurch sie länger vom Arbeitsmarkt und von einer Integration in die Gesellschaft ferngehalten werden. Außerdem zieht sich oft schon der Prozess der Beantragung um Asyl über Monate oder gar Jahre hin, sodass Flüchtlinge nicht nur lange in einem Zustand der Unsicherheit leben müssen – in dieser Zeit dürfen sie auch nicht arbeiten und haben somit kaum eine legale Möglichkeit, Geld zu verdienen. In Zeiten von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Armut müssen die Flüchtlinge in Griechenland somit in einer besonders prekären Lage leben.

Wenn Arne Semsrott nicht für fluter.de schreibt, arbeitet er unter anderem für das Informationsportal „Frag den Staat“