Wenn schon die Apokalypse kommt, will ich dabei wenigstens betrunken sein. Wobei: eigentlich auch ohne Apokalypse, nur um sicherzugehen.

Ich bin live dabei im sonnigen Los Angeles – wer wird neue US-Präsidentin? Wahrscheinlich ist Los Angeles nicht der beste Ort, um ein repräsentatives Bild der US-Wahl zu zeichnen. Die Stadt liegt mitten in Kalifornien, einer der sichersten Hochburgen von Hillary Clinton, und ein paar Zeitzonen hinter den anderen Staaten. Hier gibt es praktisch keinen Präsidentschaftswahlkampf, weil sowieso die Mehrheit für die Demokraten stimmen wird. Aber dafür sitze ich an der Strandbar „American Junkie“ inmitten von Frat Boys, Cheerleadern und Surfer Dudes, die gemeinsam Nachrichten schauen (und gleichzeitig Eishockey). Motto des Ladens: „All Things American“. Passt auch!

„Die Analysen gleichen sich: Hillary ist schlecht fürs Land, Trump wäre schlechter. Das Wahlsystem ist bekloppt, die Medien verrückt“

Also zum Einstimmen das erste Bier des Nachmittags an der Bar bestellen. Schmeckt schrecklich, ist aber immerhin kalt. Die Wahllokale sind im ganzen Land noch offen und die Sonne brennt noch auf den Strand an der Ostküste. Im Fernsehen läuft Werbung von einem Hundefutterhersteller, der Trump- und Clinton-Wähler mit Hilfe eines Golden Retrievers zusammengebracht hat. Die eigentlich verfeindeten Wähler erkennen beim Streicheln des Tieres, dass sie doch etwas gemeinsam haben: „Wir lieben alle Hunde.“ Das ist die traurigste Werbung, die ich je gesehen habe.

Also gleich das zweite Bier hinterher, auch kalt. Ich höre mich an der Bar um, wie die Stimmung ist. Die Analysen gleichen sich: Hillary ist schlecht fürs Land, Trump wäre schlechter. Das Wahlsystem ist bekloppt und die Medien sind verrückt. Überhaupt scheinen alle vor allem froh zu sein, dass die Wahl bald zu Ende ist. Sogar die Moderatoren auf CNN machen den Eindruck, als gehe ihnen der ganze Zirkus inzwischen gehörig auf den Geist. Sie müssen den ganzen Tag Wähler interviewen, die gerade ihre Stimme abgegeben haben. Die reden meist so dummes Zeug („Clinton schlimmer als Hitler“, „Man muss das Land wie ein Unternehmen führen“), dass den Moderatoren immer wieder die Sprache wegbleibt.

An der Strandpromenade fahren in der anbrechenden Dämmerung noch einige Surferboys auf ihren Skateboards entlang. Ich bestelle mein drittes Bier und kriege Kopfschmerzen, vermutlich von den immerzu hämmernden Nachrichten über Unregelmäßigkeiten an irgendwelchen Wahlurnen in Ohio oder Nevada oder irgendeiner anderen Wüste. CNN gibt jetzt die ersten Ergebnisse aus US-Bundesstaaten bekannt, alles wie erwartet, also weiter Warten auf das Ende.

„Die Sender zeigen im Loop sämtliche sexistischen und rassistischen Sprüche, die Trump in den letzten Wochen losgelassen hatte“

Hinter mir meldet sich Paul unaufgefordert zu Wort, Basecap, Surfershirt, schiefes Lachen. Er erklärt mir, dem Deutschen, wie das so sei mit Clinton: Sie und ihre Clique seien so wie die Bolschewiken („und wie die Menschewiken!“), die Wahl sei manipuliert und Clinton selbst ein Nazi. Außerdem plane sie, in der Wahlnacht Hunderttausende Trump-Unterstützer umzubringen. Ich frage ihn, wie er da so ruhig sitzen könne, wenn er doch offensichtlich in ein paar Stunden getötet werden solle. Er grummelt, dass Gott ihn retten werde. Ich habe keine weiteren Fragen.

In den Tagen zuvor war die bestimmende Nachricht in den meisten Fernsehnachrichten, dass Trump aufgrund von angeblichen Wahlmanipulationen seine Wahlniederlage nicht anerkennen würde. Dazu zeigten die Sender im Loop sämtliche sexistischen und rassistischen Sprüche, die Trump in den letzten Wochen losgelassen hatte. Immer und immer wieder. Ein Moderator von CNN fragte in dem Zusammenhang treudoof-heuchlerisch, ob wohl auch Medien wie CNN Trumps Komplizen seien bei der Verbreitung der Hassbotschaften. Man kennt das von Anne Will und der AfD.

Ich brauche eine Auszeit. Die Fernsehnachrichten werden immer konkreter. Trump liegt weniger zurück als in den Umfragen, vermutlich kriegt er Ohio und Florida. Trotzdem noch Vorsprung für Clinton. Für Bier Nummer vier gehe ich zum Liquor Store nebenan und nehme mir eine Bierflasche aus dem Kühlschrank. Bevor ich aber bezahlen darf, muss ich meinen Ausweis zeigen, zum ersten Mal seit meinem 15. Lebensjahr. Ich sage dem Verkäufer, dass es doch wohl unfair sei, dass man offenbar keinerlei Qualifikationen haben müsse, um Kandidat für die US-Präsidentschaft zu werden, für den Erwerb eines Bier aber einen Ausweis vorzeigen müsse. Der Verkäufer findet den Vergleich recht schief. Ich überlege kurz und stimme ihm dann zu. Meinen Ausweis muss ich trotzdem vorzeigen. Ich bestehe mit Bravour.

„Ich kann mir das nicht weiter anschauen, trinke noch ein Bier und noch einen Schnaps und krieche ins Bett. Mir ist schlecht“

Danach: warten. Trump schiebt sich vor. Weiter vor und weiter vor. Und ich halte es nicht mehr an der Bar aus. Ich kaufe noch zwei Bier und gehe an den Strand, allein. Wenn Trump tatsächlich gewinnt, wird uns das über Jahrzehnte begleiten, wie uns jetzt noch immer die verfehlte Politik von George W. Bush verfolgt. Trump legitimiert Rassismus, Trump macht das Unsagbare sagbar.

Und als ich vom Strand zurückkehre, scheint sich Trumps Vorsprung zu verfestigen. Was ich zu Beginn des Abends nicht für möglich gehalten habe, ist eingekehrt. Berlin in den 1920ern. Ich kann mir das nicht weiter anschauen, trinke noch ein Bier und noch einen Schnaps und krieche ins Bett. Mir ist schlecht.

Titelbild: dpa/picture-alliance