Eigentlich geht es bei dem Referendum, über das Italien am 4. Dezember entscheidet, um eine nüchterne Frage: Soll die Verfassungsreform kommen – sì o no?

Doch jetzt, ein paar Tage vor der Abstimmung, gehen die Emotionen hoch. Während es Anfang des Jahres noch so aussah, als wäre die Zustimmung der Italiener sicher, sehen nun Umfragen das Nein-Lager vorne. Tausende Menschen protestieren gegen die lang geplanten Änderungen. Matteo Renzi kündigt seinen Rücktritt an, sollte es tatsächlich so kommen. Deutsche Politiker und Medien blicken besorgt auf die drittgrößte Volkswirtschaft im Euroraum. Und auch die Europäische Union ist alarmiert.

Warum ist der Volksentscheid so wichtig? Ein Italo-Briefing:

Worüber wird abgestimmt?

47 der 139 Artikel der italienischen Verfassung sollen geändert werden. Dadurch soll das Land leichter zu regieren, schneller zu reformieren und die Regierung insgesamt stabiler werden. Tatsächlich hat es in Italien in den vergangenen rund 70 Jahren schon 63 Regierungen gegeben – bei einer regulären Legislaturperiode von fünf Jahren –, weil es immer wieder parlamentarische Pattsituationen gab. Durch die geplante Reform des Zweikammersystems, dem Kernstück des Referendums, soll sich das ändern. Bisher hatten die beiden Kammern des italienischen Parlaments exakt die gleichen Rechte. Jedes Gesetz, jede Entscheidung musste gleichberechtigt von dem Abgeordnetenhaus und dem Senat verabschiedet werden – eine Regelung, die in der gesamten Europäischen Union einmalig ist und die Reformen langwierig und zudem sehr teuer macht. Durch die Verfassungsreform soll der Senat um mehr als zwei Drittel der Sitze schrumpfen, weniger Mitspracherecht haben und nicht mehr direkt gewählt werden.

Auch im Abgeordnetenhaus soll es ein verändertes Wahlrecht geben: Jene Partei, die im ersten Wahlgang mindestens 40 Prozent der Stimmen gewinnt, würde 340 der 630 Sitze im Abgeordnetenhaus bekommen. Im Falle, dass keine Partei diese Hürde schafft, würde eine Stichwahl zwischen den zwei stärksten über die Mehrheit im Parlament entscheiden.

Ein weiterer zentraler Punkt der Reform: Die Verwaltungsebene der Provinzen – vergleichbar mit den deutschen Landkreisen – soll abgeschafft werden. Die Regionen hätten zukünftig weniger Kompetenzen, der Zentralstaat dafür mehr.

Was spricht dagegen?

Die Gegner der Reform argumentieren vor allem damit, dass die Demokratie unter den geplanten Änderungen leiden würde. Unter den Kritikern sind die rechtspopulistische und fremdenfeindliche Partei Lega Nord, die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo, Silvio Berlusconis Forza Italia und auch der linke Flügel von Matteo Renzis Partito Democratico.

Was steht zwischen den Zeilen?

Nach Einschätzung vieler Demoskopen stimmen die meisten der knapp 51 Millionen Wahlberechtigen weniger über die Reform selbst als über Renzis Regierung ab: Scheitert das Projekt, so kündigte der seit Februar 2014 regierende Ministerpräsident an, tritt er zurück.

Warum scheinen viele Bürger den Rücktritt Matteo Renzis zu wollen?

Viele Italiener sind der bisherigen Reformversuche Renzis müde. Die wirtschaftliche Lage Italiens hat sich in den letzten Jahren wenig verbessert: Die Wachstumsraten sind niedrig, die Arbeitslosenquote hoch (unter Jugendlichen lag sie im Oktober bei 36,4 Prozent), und die Wahlgeschenke wie Steuerrückzahlungen fallen dann doch zu gering aus, um größere Teile der Bevölkerung damit langfristig zufriedenzustellen. Und dann ist auch noch die Staatsverschuldung auf einem Rekordniveau.

Was würde ein „No“ für Italien bedeuten? 

Was genau passieren wird, sollten sich die Italiener am Sonntag gegen die Verfassungsreform entscheiden, weiß niemand so genau. Der 41-Jährige Ministerpräsident würde wohl den Regierungspalast verlassen. Bis zu den Wahlen 2018 bräuchte es dann eine Übergangsregierung, die wahrscheinlich aus einer Großen Koalition bestünde. Sowohl politisch als auch wirtschaftlich (Italiens Banken sitzen auf faulen Krediten in Millardenhöhe) bedeutet ein „No“ für Italien große Instabilität.

Und was würde ein Nein für Europa heißen?

Wegen seiner wirtschaftlichen Lage gilt Italien als ein Sorgenkind der Eurozone. Die Stabilität des Landes ist aber gerade für das angeschlagene Gleichgewicht der Europäischen Union sehr wichtig. Italien nimmt zum Beispiel eine zentrale Rolle ein, wenn es um die Themen Flüchtlingskrise und Sicherung der Außengrenzen geht. Und schließlich – aber hier sind sich die Beobachter sehr uneinig – könnte ein „Nein“ zum Referendum auch ein erstes „Nein“ zur EU bedeuten. Während die einen schon von „Italexit“ sprechen – die Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung kokettieren zumindest mit Plänen für einen Austritt Italiens –, glauben andere, dass es dazu nicht kommen wird. Eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zum Beispiel zeigt: Unter den Bürgern Italiens, eines der sechs Gründungsstaaten der EU, steigt die Zustimmung zur Mitgliedschaft.

Titelbild: Mitglieder der Partei "Forza Italia" werben für "NO" / Piaggesi/Fotogramma/ROPI-REA/laif